Das Archiv der Lyriknachrichten | Seit 2001 | News that stays news
Liebe L&Poe-Leserinnen und -Leser,
seit Ende 2000 gibt es die Lyrikzeitung, 15 Jahre als Tages-, jetzt als Wochenzeitung. Jeden Freitag neu mit Nachrichten aus der Welt der Poesie. Poetry is news that stays news, sagt Pound. Heute mit: Hefter, Jeschke, Trump, Khider, Draesner, Orwell in Moskau und mehr. Weiter mit Shakespeare: Sonett 21 im Original und deutsch von Max Josef Wolf mit Anmerkungen. Viel Afrika! Im übrigen: 20. Jänner ist Lenztag und alle vier Jahre Inauguration day. Spruch der Woche: Hör auf zu leben, lies! Lesen!
Die Themen in dieser Ausgabe
Martina Hefter
Auszug aus Die Halbtoten. Dramatische Dichtung
Der Igel da.
Was?
Er schaut so treuherzig.
Ich finde ja, er schaut kritisch.
Ich dachte erst, der Umriss des größten Igels wäre ein Feuer.
Doofe Avatare.
Ich hätt lieber was anderes gebastelt. Was Abstrakteres. Einen viereckigen belanglosen Raum.
Na da sitzt du doch tagaus tagein drin.
Gerade deswegen. Ich hätt gern ein Modell davon.
O Hybris.
Den belanglosen Raum kannst du herstellen, indem du ein kleines Fliegenpilzhäuschen auf das große klebst, und auf das kleinere noch kleineres.
Und dann noch ein kleineres.
Genau. Und noch eins. So lang, bis der kleinste Fetzen Buntpapier nicht mehr faktisch ist.
Bis ich da fertig bin, bin ich ja faktisch tot.
Tot bis du, wenn du belanglosen Raum gar nicht mehr definier kanns.
Schaut mal, ich hab mal schnell einen kleinen belanglosen Raum gebastelt. Einfach die vier Ecken eines Quadrats umgeschlagen, dann die Querseiten umgeklappt, einmal auf die andere Seite gedreht, die entstandenen Falzen an den eingeklappten Ecken rausgezogen, und dann in die Mitte ein Loch.
Wozu denn das Loch?
Damit Licht reinfällt.
Sehr schön. In der Zeit, die du da rumgebastelt hast, hast du trotzdem keinen Besuch bekommen. Da hättest du auch einen Igel basteln können.
Er hat ja eh kein Freund, die ihn besuch könnten. Alle längs tot.
Bei wem ist der belanglose Raum gerade?
Ich hab ihn! Hier, fang!
Hepp!
Gib!
Los, zu mir!
Da! Stülp ihn dir drüber!
Kuckuck!
Jetzt hört doch auf mit den Faxen. Ich will meinen Kako- Kaba- Kato-
Kakao.
Mit freundlicher Genehmigung der Verfasserin. Aus einem 2018 bei Kookbooks erscheinenden Buch.
[zurück]
[✺]
On Martin Luther King Jr. Day, some of America’s most celebrated authors gathered on the steps of the New York Public Library to protest Donald Trump’s attacks on freedom of speech.
Poet Laureate Robert Pinsky wrote a poem for the occasion, inspired by the battles against oppression of Gwendolyn Brooks and Polish poet Czesław Miłosz. “Now my fellow dissidents, we endure a moment of charismatic indecency. Charismatic indecency and sanctimonious falsehood beyond shame. Our polish grandfather Milosz and our African American grandmother Brooks endured worse than this. First fight then fiddle, she wrote,” read Pinsky from the poem.
read more
[zurück]
[✺]
Als ich es las, hielt ich es für Parodie und mußte lange nach Anzeichen dafür suchen. Aber es gab keine, alles war blutiger Ernst. „Ein von Schottland inspiriertes Gedicht für Trumps Inauguration“ hieß die Überschrift. Das Gedicht nennt Obama einen Tyrannen, dessen usurpierte Macht ihm von Held Domhnall (schottisch für Donald) aus den Klauen gerissen wird. Held Domhnall rettet auch die Frauen, die Schwarzen und die Einwanderer (natürlich die Richtigen, z.B. Schotten, nicht die mörderischen Horden aus der Hölle Mexiko. Leider keine Parodie! Mehr hier
[zurück]
[✺]
Mathias Jeschke
Inauguration
Mann TRUMP, geh mir FORD! Ich KENNEDY,
ich weiß, was für ein LINCOLN Typ du bist!
Was WILSON POLK wie du schon bewirken,
wer kauft denn schon den CARTER im BUSH!
FILMORE müsste ein ganz, ganz andrer her,
NIXON fetter GARFIELD im REAGAN wie du,
Ein Typ, sehr COOLIDGE und TAFT, ja, Mann,
das wäre HAYES, das ist TRUMAN! Nun aber:
Möge bloß der Höchste sich unsrer OBAMA!
mathiasjeschke.de
[zurück]
[✺]
Der Schriftsteller Abbas Khider erhält den mit 15.000 Euro dotierten Adelbert-von-Chamisso-Preis der Robert Bosch Stiftung (der 2017 zum letzten Mal vergeben wird). Mit diesem Preis wird sein bisheriges Gesamtwerk geehrt. Darin erweise sich Abbas Khider „als sprachsensibler Beobachter der Verzweiflung, Verstörtheit, Wut und Hoffnung junger Männer, die ihre Heimat verlassen müssen und Zuflucht in Europa suchen“, so die Begründung der Jury.
(…) Abbas Khider wurde 1973 in Bagdad/Irak geboren. Aus politischen Gründen verfolgt, floh er 1996 aus dem Land. Vier Jahre lang zog er als illegaler Flüchtling durch Jordanien, Libyen und die Türkei. 2000 beantragte er in Deutschland Asyl, studierte in München und Potsdam Philosophie und Literaturwissenschaft. Heute lebt Abbas Khider in Berlin. Er veröffentlichte Gedichte in arabischer und in deutscher Sprache. Für seinen ersten Roman „Der falsche Inder“ (2008) erhielt er 2010 den Chamisso-Förderpreis. Mehr
[zurück]
[✺]
Die Frankfurter Neue Presse berichtet über die erste Poetikvorlesung von Ulrike Draesner:
Und dann erging es ihr wohl ähnlich wie in dem Lyrikband „Subsong“ von 2014, einer sehr experimentellen Sprach- und Klang-erforschungsreise in Buchform. „What is poetry?“ heißt eine Gedichtüberschrift, ziemlich zum Schluss. Doch ausgerechnet unter diesem sehr theoretischen Titel wird Draesner so handlungsprall wie kaum je zuvor. Auf einmal nämlich, wenn alle Möglichkeiten ausgelotet und Grenzen immer wieder überschritten wurden, schießen Sprache, Laut, Satz und Handlung zusammen zur Geschichte. Dem Geheimnis auf die Spur zu kommen heißt immer auch: es als solches zu akzeptieren.
(…) In den nächsten Vorlesungen wird es weitergehen mit dem Roman, der Lyrik, der Übersetzung und dem Schreiben nach der Natur.
Campus Westend, Hörsaal 1, Frankfurt, bis 7. Februar, immer dienstags, 18.15 Uhr. Am 23. Januar liest Draesner um 19.30 Uhr im Literaturhaus Frankfurt
Russischer Dichter Alexander Byvshev wird erneut wegen eines Gedichts zur Unterstützung der Ukraine angeklagt – unter sehr Orwellschen Umständen. (Sein russischer Wikieintrag ist mal vorsorglich verschwunden) Hier
[zurück]
[✺]
L&Poe berichtete vergangene Woche, daß die weißrussische Autorin Swetlana Alexijewitsch, Literaturnobelpreisträgerin, das russische PEN-Zentrum verlassen hat. Jetzt erklärt das PEN-Zentrum, Alexijewitsch sei nie Mitglied gewesen. Außerdem hätten nur 10% der Mitglieder protestiert, 90% unterstützten die Politik des Zentrums. Lesen Sie hier
[zurück]
[✺]
geht weiter mit Sonett #21: SO is it not with me as with that Muse, deutsch von Max Josef Wolff: Nicht jener Muse gleichet mein Gedicht.
Hier die aktuelle und alle bisherigen Folgen
Kommenden Donnerstag ist Australia Day. Wieso werden so viele Fußballer am 26.1. geboren? Diese Woche Gedenktage für einen König, der im 18. Jahrhundert Homosexuelle vorm Tode rettete, sowie für Matthias Claudius, Joseph Scaliger, John Donne, Rainer Brambach (100. Geburtstag), Jakob Michael Reinhold Lenz, Jesse Thoor, Derek Walcott, Ernst Blass, Wilhelm Klemm, Kaiser Hadrian, Peter Paul Zahl, Robert Burns, Dorothy Wordsworth, Eva Zeller, Wladimir Wyssozki, Gérard de Nerval und viele andere. Lesen Sie hier
Thomas Kling und die Poeterey der Adenauer-Generation. Fundamentalisten schaffen es nicht und sind stolz darauf. Dank des Zaubers der Poesie darf das Wort auch in Volkes Munde immer wieder werden, was es bei Hafis von Haus aus war: fromm, frech und frei. Abu Nuwas (763 ca. 813) besang in höchst provokanter und heftiger Weise den Wein, der im Islam verboten ist, und die homosexuelle Liebe. Dafür wurde er ausgelöscht. Dies und viel mehr hier. Alle bisherigen Rückblenden hier.
[zurück]
[✺]
des Berliner Schriftstellers Hansjürgen Bulkowski.
nach den schweren Stürmen ruht auf dem Boden ein leichter Schnee
Seit 2013 versendet Hansjürgen Bulkowski wöchentlich einen Aphorismus als Poetopie per eMail, 2013-16 sonntags in der Lyrikzeitung und von nun an jeden Freitag im L&Poe-Digest.
Neueste Kommentare