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Im Poetenladen-Essay schreibt Theo Breuer, was Michael Lentz wirklich gesagt hat in puncto hohle Nüsse, und auch sonst vieles schöne und nützliche, ich empfehle den ganzen Text zu lesen, hier ein Ausschnitt:
Wiederholt in den Textfluß eingestreut: Lentz-Schlenzer, die, kurz und herzlos, sitzen – zack: Nennen wir noch, jenseits der Ismen, Rolf Dieter Brinkmann. Kaum ist der Satz gelesen, lodert hinter dem Namen die blaue Flamme auf, die Geist und Seele seit Jahrzehnten befeuert. Und drum sehe ich es, in diesem Augenblick des Lesens, wie jedes Mal, wieder: Das · ist · ein anderes Blau.
Lentzscher Imperativ: Wer Dichter sein will (und nicht etwa Spitzenklöppler, denke ich hinzu) und sich nicht mit Gedichten von Charles Baudelaire · Gunnar Ekelöf · Stefan George · Robinson Jeffers · Sergej Jessenin · Philip Larkin · Wladimir Majakowski · Cesare Pavese · Sylvia Plath · Ezra Pound · Reinhard Priessnitz · Arthur Rimbaud befaßt hat (die Aufzählung suggeriert, naturgemäß, das Mayröckersche „usw.“), der kriegt vom Spielleiter, nein, da kennt der Wilde keine Milde, nicht die gelbe, nein, … (ohne Gnade. Schade!) die rote Karte vor staunende Augen gehalten: Der Dichter muss sich ganz auskennen, […] wer bei August Stramm glaubt, sich verhört zu haben, ist für die Poesie verloren […] und wer nie seinen Jesse Thoor mit Tränen las, […] hat keine Ahnung, wie schwer das aufscheinend Einfache ist …
Lentz, dynamisch-sanguinischer poeta doctus, homo ludens et musicus, läßt mich im Anschluß an ins Detail von Rhetorik, Linguistik, Intertextualität „usw.“ gehenden Werkbesichtigungen teilhaben, die mir die beWUNDErte Wortkunst von Carlfriedrich Claus · Uwe Dick · Bodo Hell · Friederike Mayröcker · Oskar Pastior (inkl. Herta Müllers Atemschaukel) · Josef Anton Riedl · Gerhard Rühm · Valerie Scherstjanoi fabel- und wesenhaft vor meine nach immer mehr gierenden Augen führen, während im nachfolgenden Kapitel Andere: Reverenzen erwiesen werden – und wieder flackern Flämmchen beim Lesen allein schon von Namen: Hartmut Geerken (in Michael Lentz‘ ureigener – faksimilierter – Handschrift – ›Handschrift‹: ein Stichwort, mit dem ich das nächste Faß aufmache, ohne nun weiter daraus zu zapfen) · Thomas Kling (who the fuck is eigentlich dieser kling, fragt ein Leser am 15. Oktober 2011 in der Lyrikzeitung, in Textleben gibt Lentz vielseitig Antwort – u.a. mit dem Gedichtzitat Über das Bildfinden II: aber die sprache, / aber die sprache, / aber die sprache: / dies ständige, ständige, / vollständige fragment) · Thomas Mann · Helga M. Novak · Joachim Ringelnatz · Robert Walser.
Im Kapitel Alte: Größe trifft der Leser auf umfängliche Essays zu Gottfried Benn (ein irdisches Vergnügen in B.) sowie Rainer Maria Rilke und hier auf die hohlen Nüsse, notabene weit weg von den knackigen Aussagen über zeitgenössische Lyriker (wohin sie der FAZ-Mitarbeiter in der Textleben-Besprechung verlegt*), von denen mir Ich finde Stolterfoht ganz ausgezeichnet besonders im Gedächtnis haften bleibt:
Es gehört unter anderem zum guten Ton – der nicht immer der beste sein muss –, Rilkes Texten Kitsch vorzuwerfen. Aber abgesehen davon, daß der Ruf, ›kitschig‹ zu sein‹, nicht der schlechteste sein muß und manche Autoren im Unterschied zu Rilke so enttäuschend hohle Nüsse sind, dass sie keinerlei Vorwürfe produzieren, kontert Rilke den Vorwurf selbst: indem er gelesen wird. Lesend lernt man einen Dichter kennen, der wie kein anderer unterschiedliche stilistische und rhetorische Register zu ziehen wusste, dabei mit seiner Dichtung immer erst unterwegs war zu einer ›anderen‹ Sprache, zu einer utopischen Aufhebung der Differenz von Ding und Wort.
*) Axel Kutsch hat seine Aussage über die hohlen Nüsse, wie er sagt, aus der FAZ übernommen, bevor er das Buch selber las. – Der von Theo Breuer, dem so begeisterungsfähigen wie gründlichen Leser, zitierte Satz über who-the-fuck-was-kling war zwar meiner Meinung nach eher sarkastische Reaktion auf Kutschs und anderer Lyrikschelte; aber Lentz‘ von Breuer zitierte lange Liste von must-reads ist keine schlechte Arbeitsbasis; meine ich. Danke, Theo!
Michael Lentz
Textleben
Über Literatur, woraus sie gemacht ist, was ihr vorausgeht und was aus ihr folgt
Herausgegeben sowie mit Vor- und Nachwort versehen von Hubert Winkels
576 Seiten
S. Fischer 2011
natürlich hilft es, gelesen zu haben. wenn literaturstudenten im ersten semester, die selbst schreiben wollen, in ein lyrikseminar kommen und auf die frage, welche lyrik sie zuletzt gelesen haben (oder überhaupt kennen) erich fried nennen, wahlweise die expressionisten, und sonst nichts, dann ist da ein defizit zu beheben, sicherlich.
davon abgesehen, und das ist keine urbane legende, sondern eine tatsache, arbeitet der mann meiner besten freundin als opernsänger an einem deutschen opernhaus – und ist gelernter koch. es gibt auch sowas wie talent. und jemand kann lesen, so viel wie er oder sie möchte, helfen wird das hinsichtlich der eigenen texte gar nichts bzw nicht viel – es entsteht höchstens die vielzitierte germanisten-lyrik, wenn nicht etwas wie talent von vorneherein vorhanden ist. oder aber, wie im falle von herrn kutsch teils im poetenladen zu lesen, morgennatz ringelstern in nicht so besonders spannender fassung kommt dabei heraus. manche sind begabter als herausgeber und kritiker denn als lyriker, oder auch als übersetzer, und werden als solche sehr gebraucht.
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Also ich finde Axel Kutsch als Lyriker interessanter, denn als Kritiker, seine Meriten als Herausgeber halte ich ebenso wie der Anonymus für unbestritten. Ich glaube, das Erfahrung mit dem Material sammeln, üben, eine große Rolle spielt, das kann im Medium des Lesens geschehen oder nicht geschehen, je nachdem hilft lesen. Wenn jeder, der als Lyriker auftreten möchte, über ein paar Jahre hinweg so seine zwei Stunden am Tag in der lyrischen Werkstatt gewesen wäre, dann wäre viel gewonnen. Ja Talent ist wichtig, trivial, leider gibt es viele ungeübte Talente in der Lyrik. Der Text von S. ist etwas aus der Gottesperspektive geschrieben: Man kann ja Talent zu- oder absprechen. Die die das intensiv und gern tun, sollten sich dann aber erstmal einig sein, was eigentlich Talent ist, sie wissen es nicht so recht, die Uneinigkeit ist ein Symptom. Sie wollen es ohne Kriterien aus dem Lehnstuhl entscheiden?
Es scheint verschiedene Arten von Talent zu geben, die nicht so leicht zu durchschauen sind. (In der Musik bemerkt man den besseren Musiker im Zweifel auch erst dann, wenn beide sich am gleichen Stück versuchen und selbst da bleiben tw. Wertfragen) Daumen hoch oder runter, Talent oder nicht, ist keine passende Strategie und was dem einen schon Germanistenlyrik ist, ist dem anderen ein gelehrter Poet, während ein bemüht schlichter im mittleren Ton dem anderen einen germanistischen Anhauch vermittelt.
Auch: Straßenbahnfahrerlyrik, Hausfrauenlyrik, Schornsteinfegerlyrik, Lyrikerlyrik
ärgerlich Grüße an s
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– – – –
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neeeneee, das war mein voller ernst. 😀
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glaub ich, aber: wer fragt danach?
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du antwortest immer nur, sonst schweigst du?
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