Arabeske (1)

Jens Peter Jacobsen

(* 7. April 1847 in Thisted; † 30. April 1885 ebenda)

Von den wenigen Gedichten, die J. P. Jacobsen … geschrieben hat, ist Arabeske unbestritten das großartigste. Im Herbst 1873 verbrachte Jacobsen einige Wochen in Florenz, und um diese Zeit wahrscheinlich hat er Michelangelos berühmte Rötelzeichnung, oder richtiger: die Kopie davon gesehen, die in den Uffizien hängt; das Original befindet sich in England. Jacobsen, der damals wußte, daß er von Tuberkulose angegriffen war, veröffentlichte sein Gedicht 1874. Außer dem Porträt einer ruhigen und trauernden Frau sind darin drei Naturvisionen zu sehen: der hohe Wellenschlag des leuchtenden Tages; der angsterfüllte Windhauch des Abends, der Seufzer der glühenden Nacht. Bei der stolzen Frau, die auf dem Balkon erscheint, sind Lebensfreude, Angst und die fieberhafte Lebenssehnsucht verstummt; geblieben ist nur der vielwissende, heilige Schmerz ihres Blickes.

ARABESKE

Zu einer Handzeichnung von Michelangelo
(Frauenprofil mit gesenktem Blick in den Uffizien)

Griff die Woge Land?
Griff sie Land und versickerte langsam
rollend mit den Perlen des Kieses
wieder hinaus in der Wogen Welt?
Nein. Steil steigend wie ein Streitroß
hob sie hoch ihre nasse Brust.
Durch die Mähne sprühte Schaum hin,
schneeweiß wie ein Schwanenrücken.
Strahlender Staub und regenbogiger Nebel
zitterten auf durch die Luft:
und ihn werfend
und teilend*
flog sie, breit, auf Schwanenschwingen
in der Sonne weißes Licht.

Ich kenn deinen Flug, du fliegende Woge.
Aber der goldne Tag wird sinken,
wird, in der Nacht dunklen Mantel geschlagen,
müde sich legen zu Ruh.
Tau wird glitzern in seinem Hauch,
die Blumen zu-sein rings um sein Lager,
eh du dein Ziel noch erreichst.
– Und bist du heran an das goldene Gitter
und streifst leis, ausspannend den Flug,
hin über die breiten Gänge des Gartens,
hin über Wogen von Lorbeer und Myrten,
über der Magnolia dunkle Krone,
unter dem Nachschaun ihrer hellen, ruhig-scheinenden,
unter dem Nachschaun ihrer starrenden Blumenaugen,
niedriger hin über verschwiegen flüsternde Iris,
getragen, gewiegt in erleichtert weinende Träume
von der Geranien Duft,
von der Tuberosen und des Jasmins schweratmenden Duft,
getragen heran an die weiße Villa
mit den mondhellen Scheiben,
mit ihrer Wache von hohen dunklen,
hohen treuen Cypressen:
so vergehst du in der Ahnungen Angst,
brennst auf in deiner bebenden Sehnsucht,
gleitest weiter wie ein Luftstrich vom Meer,
und du stirbst in der Weinranken Laub,
rauschendem Laub von Weinranken
am marmornen Rand des Balkons.
Während die kalte Seide der Balkongardine
langsam sich in schweren Falten schaukelt,
und die goldnen Traubenbüschel
aus den angstvoll-bösen Ranken
fallen in des Gartens Gras.

Glühende Nacht.
Langsam brennst du hin über die Erde.
Der Träume seltsam wechselnder Qualm
wallt und wirbelt auf deiner Spur dir nach,
glühende Nacht.

(Fortsetzung folgt)

Deutsch von Rainer Maria Rilke. Aus: Anthologie der dänischen Literatur. Zweisprachige Ausgabe. Hrsg. F.J. Billeskov Jansen und Hanns Grössel. Kopenhagen: C.A. Reitzels Boghandel, 1978, S.  568ff

*) Rilke hat das Wort „ham“ in Vers 11f falsch verstanden. Es ist nicht das Pronomen „ihn“, sondern das Substantiv ham = Haut. Stefan George übersetzt die beiden Verse: „Hülle geworfen, / Hülle gewechselt“ Anm. der Hrsg.

Arabesk. Til en Haandtegning af Michel Angelo.
Kvindeprofil med sænkede Blikke i Gangen mellem Pitti og Ufficierne

Tog Bølgen Land?
Tog den Land og sived langsomt,
Rallende med Grusets Perler,
Atter ud i Bølgers Verden?
Nej! den stejled som en Ganger,
Løfted højt sin vaade Bringe;
Gjennem Manken gnistred’ Skummet
Snehvidt som en Svanes Ryg.
Straalestøv og Regnbu’taage
Sitred op igjennem Luften:
Ham den kasted’,
Ham den skifted’,
Fløj paa brede Svanevinger
Gjennem Solens hvide Lys.

Jeg kjender din Flugt, du flyvende Bølge;
Men den gyldne Dag vil segne,
Vil, svøbt i Nattens dunkle Kappe,
Lægge sig træt til Hvile,
Og Duggen vil glimte i hans Aande,
Blomsterne lukke sig om hans leje,
Før du naa’r dit Maal.
— Og har du naa’t det gyldne Gitter
Og stryger tyst paa spredte Vinger
Henover Havens brede Gange,
Henover Laurers og Myrthers Vover,
Over Magnoliens dunkle Krone,
Fulgt af dens lyse, roligt blinkende,
Fulgt af dens stirrende Blomsterøjne,
Nedover hemmeligt-hviskende Iris,
Baaret og dysset i graadmilde Drømme
Af Geraniernes Duft,
Af Tuberosers og Jasminers tungtaandende Duft
Baaret mod den hvide Villa
Med de maanelyse Ruder,
Med dens Vagt af høje, dunkle,
Høje, trolige Cypresser,
Da forgaar du i Anelsers Angst,
Brændes op af din skjælvende Længsel,
Glider frem som en Luftning fra Havet,
Og du dør mellem Vinrankens Løv,
Vinrankens susende Løv,
Paa Balkonens Marmortærskel,
Mens Balkongardinets kolde Silke
Langsomt vugger sig i tunge Folder,
Og de gyldne Drueklaser
Fra de angstfuldt-vredne Ranker
Fældes ned i Havens Græs.

Glødende Nat!
Langsomt brænder du henover Jorden;
Drømmenes sælsomt skiftende Røg
Flakker og hvirvles afsted i det Spor,
Glødende Nat!

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