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Am 6. April 1327 sieht der italienische Dichter Francesco Petrarca in Avignon seine Laura zum ersten Mal. Am 6. April 1348, 21 Jahre später, stirbt sie. Nach der Komposition seines Canzoniere fand beides an einem Karfreitag statt (was rein astronomisch nicht zutreffen kann). Nach den Lehren der Kirchenväter ist der 6. April ein symbolisches Datum: am 6. April ist Adam erschaffen, am gleichen Datum fand die Erbsünde statt und ist Christus gestorben. Am 6. April 1341 kommt Petrarca nach 49 Reisetagen in Rom an, wo ihm die Lorbeerkrone überreicht wird. Es gibt noch weitere Lebensereignisse an einem 6. April (so 1357: da pflanzt er 6 Lorbeerbäume). Laurel (Lorbeer) ist ein häufiges Wortspiel mit dem Namen Laura.
Zum bedeutenden Tag ein kleines Petrarcafest. Oder wenn Sie wollen und können, zwei Stunden Heimarbeit in Sachen Petrarca?
Der Oulipot Jacques Roubaud schreibt:
Am 19. Mai 1348 erhielt Petrarca einen Brief von Sokrates [so nannte Petrarca seinen flämischen Freund Ludwig van Kempen, Kantor in der Kapelle von Petrarcas Beschützer, dem Kardinal Giovanni Colonna], in dem ihm dieser Lauras Tod mitteilte. Unmittelbar darauf schrieb er auf die Rückseite des Vorsatzblattes seines Vergil-Kodex, gegenüber dem Frontispiz von Simone Martini, folgende Worte:
»Laura, herrlich durch ihre eigenen Tugenden und lange in meinen Liedern gefeiert, erschien meinen Augen zum ersten Mal in meiner ersten Jünglingszeit, im Jahre des Herrn 1327, am sechsten Tage des Monats April, in der Kirche der heiligen Klara zu Avignon bei der Morgenandacht; und in derselben Stadt, in demselben Monat, an demselben sechsten Tag, zu derselben ersten Andachtsstunde, jedoch im Jahre 1348, ist dem Lichte dieser Welt jenes Licht entzogen worden, als ich zufällig und ach! meines Geschickes unkundig, in Verona war. Die unselige Kunde ereilte mich dann durch einen Brief meines Ludovicus in Parma, in demselben Jahr im Monat Mai, morgens am 19. Tag. Ihr so keuscher und schöner Leib wurde noch am Tage ihres Todes gegen Abend auf dem Friedhof der Minoritenbrüder beigesetzt. Ihre Seele freilich, des bin ich gewiß, ist in den Himmel zurückgekehrt, von wo sie herstammte, gerade wie Seneca von Africanus sagt. Dies aber glaubte ich gerade in diesem Buch, das mir so oft vor Augen kommt, zur traurigen Erinnerung mit einer Art bitterer Wonne verzeichnen zu müssen, damit mir fernerhin nichts mehr im Leben gefalle, und ich, nachdem nun diese stärkste Fessel zerrissen ist, durch den häufigen Anblick dieser Zeilen und durch die Erwägung der Hinfälligkeit dieser Welt daran gemahnt werde, daß es Zeit sei, aus dem Babylon des Weltlebens zu fliehen, was mir mit Gottes Gnade leicht werden wird, wenn ich eindringlich und männlich bedenke, wie vergeblich die früheren Sorgen, wie nichtig die Hoffnungen und wie unerwartet der Ausgang doch sind.«
Aus: Die numerologische Anordnung der Rerum vulgarium fragmenta / vorausgeschickt / Lebens-Entwurf des Francesco Petrarca von Jacques Roubaud. Berlin: Edition Plasma, 1997, S. 14f
Ob nun Petrarca ein schlechter Rechner war, oder ob, wahrscheinlicher, das Datum nicht faktisch sondern poetisch wahr ist: Karfreitag, wie Petrarcas drittes Sonett behauptet, kann der 6. April weder 1327 noch 1348 gewesen sein. Der 6. April 1327 war ein Montag und der von 1348 ein Sonntag.
Vom Tag, als er Laura zum ersten Mal sah, nach der Wahrheit seines Canzoniere (so nennt die Nachwelt die vom Autor beiläufig „Rerum vulgarium fragmenta“ betitelte Gedichtsammlung) handelt das dritte Sonett, das hier in mehreren Fassungen erscheint. Ich beginne mit dem Originaltext, gefolgt von (für den Fall, dass sich jemand aus der geneigten LeserInnenschaft langsam einarbeiten will – wer das nicht will, überblättert es einfach – einer automatischen Übersetzung von Google.
Era il giorno ch’al sol si scoloraro
per la pietà del suo fattore i rai,
quando i’ fui preso, e non me ne guardai,
che i be’ vostr’occhi, Donna, mi legaro.
Tempo non mi parea da far riparo
contra colpi d’Amor: però m’andai
secur, senza sospetto; onde i miei guai
nel commune dolor s’incominciaro.
Trovommi Amor del tutto disarmato
ed aperta la via per gli occhi al core,
che di lagrime son fatti uscio e varco:
Però, al mio parer, non li fu onore
ferir me de saetta in quello stato,
a voi armata non mostrar pur l’arco.
Automatische Übersetzung von Google (Benutzung auf eigene Gefahr):
Es war der Tag, an dem die Sonne verblasste
für das Mitleid seines Rai-Faktors,
als ich erwischt wurde und es nicht ansah,
dass deine Augen, Donna, mich binden.
Die Zeit schien mir nicht zu schützen
gegen Liebesschläge: aber ich ging
ohne Verdacht sichern; daher meine Probleme
im allgemeinen Schmerz beginne ich.
Ich fand Amor völlig unbewaffnet
und öffnete den Weg für die Augen zum Kern,
dass Tränen durch und durch gemacht werden:
Meiner Meinung nach war es jedoch keine Ehre
verletzt mich de saetta in diesem Zustand,
Zeige dir den Bogen nicht bewaffnet.
(Weiter unten die Übersetzungsversuche von DeepL und Bing für die ganz Hartgesottenen).
Jetzt aber die klassische Übersetzung von August Wilhelm Schlegel und daran anschließend eine fast zeitgenössische Übersetzung in Prosa:
Es war der Tag, wo man der Sonne Strahlen
Mitleid um ihren Schöpfer sah entfärben:
Da ging ich sorgenlos in mein Verderben,
weil Eure Augen mir die Freiheit stahlen.
Die Zeit schien nicht gemacht zu Amors Wahlen,
und Schirm und Schutz vor seinem Angriff werben,
unnötig; so begannen meine herben
Drangsale mit den allgemeinen Qualen.
Es fand der Gott mich da ohn alle Wehre,
den Weg zum Herzen durch die Augen offen,
durch die seitdem der Tränen Flut gezogen.
Doch, wie mich dünkt, gereicht’s ihm nicht zur Ehre:
Mich hat sein Pfeil in schwachem Stand getroffen.
Euch, der Bewehrten, wies er kaum den Bogen.
August Wilhelm Schlegel, aus: Francesco Petrarca: Sonette. Auswahl. italienisch/deutsch. Leipzig: Reclam 1968, S. 7.
Eine reimlose Übersetzung von Peter Brockmeier:
Es war der Tag, an dem der Sonne Strahlen
sich aus Mitleid mit ihrem Schöpfer entfärbten,
als ich gefangen wurde, und ich hütete mich nicht davor,
dass Eure schönen Augen, Herrin, mich banden.
Es schien mir nicht die Zeit zu sein, Schutz zu suchen
gegen Amors Pfeile: darum ging ich sicher dahin,
ohne Misstrauen; so begannen meine Leiden
in dem allgemeinen Schmerz [aller Christen],
Amor fand mich gänzlich waffenlos
und offen den Weg durch die Augen ins Herz,
die der Tränen Ausgang und Durchgang sind:
Jedoch, glaube ich, brachte es ihm keine Ehre,
mich in diesem Zustand mit dem Pfeil zu treffen,
und Euch, gewappnet, nicht einmal den Bogen zu zeigen.
Aus: Francesco Petrarca: Canzoniere. 50 Gedichte mit Kommentar. Italienisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Peter Brockmeier. Stuttgart: Reclam, 2006, S. 17.
Weiter unten folgt der ausführliche Kommentar aus dieser Ausgabe. Hier aber zuerst zwei gereimte Übersetzungen aus dem 20. Jahrhundert.
Benno Geiger 1937:
Drittes Sonett
Er tadelt Amor, daß er ihn an einem Tag verwundete, an dem er es am wenigsten befürchtet hätte
Karfreitag wars, der Tag, da vor der Güte
des Heilands einst die Sonnenstrahlen blaßten,
als Eure Augen, Fraue, mich erfaßten,
versagt mir blieb, daß ich vor Euch mich hüte.
Geeignet schien die Zeit nicht, um der Blüte
des Lenzes fromm zu widerstehn; auch paßten
wir zwei nicht auf: so ging zu beider Lasten
der Jammer uns gemeinsam zu Gemüte.
Es fand mich Amor völlig ohne Waffen,
den Weg zum Herzen offen durch die Leuchten,
die Tür und Schwelle sind dem Tränengrauen.
Doch wars nicht schön von ihm, so will mich deuchten,
in jenem Zustand mich dahinzuraffen;
von Euch, im Harnisch, nur so zuzuschauen.
Aus: Petrarca: Der Canzoniere auf das Leben und den Tod der Monna Laura. Deutsch von Benno Geiger. Zürich, Leipzig, Wien: Amalthea, 1937, S. 7
Ernst-Jürgen Dreyer 1989 / 1993:
Es war der Tag, an dem der Sonne schwanden
Mitleids mit ihrem Schöpfer voll die Strahlen,
als jählings mich in Haft und Bann befahlen,
o Herrin, Eure Augen, und mich banden.
Nicht wähnt ich, heute würde ich zuschanden
durch Amors Streiche; nimmer, mit-zermahlen
im allgemeinen Gram, daß meine Qualen
– so arglos war ich! – hier den Ursprung fanden.
Es hat mich Amor waffenlos gefunden,
offen den Weg zum Herzen durch die Augen,
die nun der Tränen Tore sind und Schleusen.
Doch mag sein Schuß zu wenig Ehre taugen
– und Euch, bewaffnet und kaum zu verwunden,
den Bogen nicht einmal von fern zu weisen.
Aus: Petrarca: Canzoniere. Zweisprachige Gesamtausgabe. München: dtv, 1993, S. 11 (zuvor 1989 und 1990 bei Stroemfeld / Roter Stern).
Dreyer übersetzte nach einer Interlinearübersetzung von Geraldine Gabor.
Es folgt ein kleiner Arbeitsabschnitt mit einem kurzen und einem längeren Kommentar.
Kommentar von Geraldine Gabor aus dem eben zitierten Buch:
1-2 Es war… die Strahlen: Karfreitag, Tag der Kreuzigung Christi
9 Es hat… waffenlos gefunden: Der Karfreitag (6. April) des Jahres
1327 ist der Tag der ersten Begegnung mit Laura
Kommentar von Peter Brockmeier aus dem Reclamband von 2006:
Rhetorisch betrachtet ist das erste Gedicht ein Exordium; die Gedichte zwei bis fünf können als »initium narrationis«, als »Schilderung des Sachverhaltes« aufgefasst werden (Göttert, S. 30). Sie greifen jeweils auf die Topoi oder Gemeinplätze der Ursache des Geschehens (Rer. vulg. frag. 2), der Zeit (Rer. vulg. frag. 3), der Person, d.h. ihrer Herkunft (Rer. vulg. frag. 4) und ihres Namens (Rer. vulg. frag. 5) zurück (Santagata, S. 13). Allerdings ist die Zeitangabe in dem dritten Sonett nicht nur als standesamtliche Mitteilung über das erste Treffen zwischen dem poetischen Ich und seiner Geliebten aufzufassen – die am Karfreitag des Jahres 1327 stattgefunden haben soll (Santagata, S. 17). Bei dieser Begegnung fühlt sich das Ich durch die Blicke der Frau in Besitz genommen: Hat das Ich in Rer. vulg. frag. 2 noch einen vernünftigen oder moralischen Widerstand gegen die erotische Verführung erwogen, so gesteht es nun seine völlige Wehrlosigkeit und Hingabe ein. Außerdem wird sein Leiden mit der Einseitigkeit der Liebe begründet: Die Geliebte ist spröde, sie wird nicht von Amor angegriffen. Auf diese Weise wird ihre doppelte Funktion als Verführerin und Erlöserin erkennbar (vgl. Komm. 2). Um die Ausnahmesituation des poetischen Ich hervorzuheben, erinnert Petrarca seine Leser in den Versen 6 bis 7 an die unglücklich liebende Francesca da Rimini: »allein waren wir und ohne einen Verdacht« (»soli eravamo c sanza aleun sospetto«; Dante, Inf. 5,129; vgl. Komm. 6, 8, 164). Neben der eigenen Schwäche und der Rache Amors (vgl. Komm. 2) wird eine weitere Begründung dafür angeführt, dass das Ich in die Gewalt des Liebesgottes geraten ist: Der Karfreitag als ein Tag des Leidens und des Mitleidens ist nicht der Tag, an dem es auf einen solchen Angriff, auf ein Begehren im sexuellen und im geistigen Sinn hätte gefasst sein müssen (5 f.). Wie Christus sieht sich auch das poetische Ich dem Bösen und dem unverdienten Leid hilflos ausgeliefert. Sein Leiden (7f.) erhält eine ebenso repräsentative Bedeutung, wie sie sein Dichtertum erhalten wird (Rer. vulg. frag. 5, 6). Der Leser wird angeleitet, die »jugendliche Verirrung« des Ich, die so großes Leid verursacht hat, bereitwilliger nachzuvollziehen und wohlwollender zu beurteilen; die sakralen Assoziationen führen zur Reue des Ich (»Tränen«, 11) und ermutigen den Leser, ihm zu verzeihen. Die Erinnerung (9, 12) an das oben zitierte ironische Gedicht Ovids (Amor. 1,2; vgl. Komm. 2) und der bittere Hinweis auf die spröde Geliebte (13f.) deuten das Thema der Allmacht und der Unerfüllbarkeit der Liebe an.
Aus: Petrarca: Canzoniere. 50 Gedichte mit Kommentar. Italienisch/Deutsch. Übersetzt und herausgegeben von Peter Brockmeier. Stuttgart: Reclam, 2006, S. 195f
Nachtrag
Zwei weitere maschinelle Übersetzungen und die Titelseiten der benutzten Bände.
Die Maschine von deepL übersetzt so:
Es war der Tag, an dem die Sonne sich verfärbte
für die Barmherzigkeit seines Bauern i rai,
als ich genommen wurde, und ich habe nicht hingesehen,
dass deine Augen, Donna, mich fesseln werden.
Ich habe keine Zeit, mich zu verstecken.
Gegen die Schläge der Liebe: aber ich ging
Sicherheit, ohne Verdacht; also meine Sorgen
in der Gemeinschaft des Schmerzes werde ich beginnen.
Finden Sie mich Liebe völlig unbewaffnet
und öffnete den Weg für den Kern,
Die der Tränen werden zu Tür und Tor gemacht:
Aber meiner Meinung nach gab es dort keine Ehre
mich so zu verletzen,
Wenn Sie bewaffnet sind, zeigen Sie den Bogen nicht.
Übersetzt mit http://www.DeepL.com/Translator (kostenlose Version)
Noch eine maschinelle Übersetzung (von Microsofts Bing):
Es war der Tag, an dem sich die Sol verfärbte
zum Mitleid seines i rai-Faktors,
als ich dort erwischt wurde, und ich sah es nicht an,
dass mich die gutäugige Donna bindet.
Die Zeit scheint mir nicht zu sein, Umschlupf zu suchen
Contra-Aufnahmen von Amor: aber ich ging
secur, ohne Verdacht; Wellen meine Probleme
in der Gemeinde begannen die Sorgen.
Ich finde Amor völlig unbewaffnet
und öffnete den Weg für die Augen zum Kern,
die von Tränen sind ausgemacht und Weg:
Aber für meinen Parer war es keine Ehre für sie
ferir me de lightning in diesem Zustand,
Sie bewaffnet nicht zeigen den Bogen.
Der „rai-Faktor“ und vieles andere der automatischen Google-Übersetzung zeigt einmal wieder, wie verfälschend solche automatischen Übersetzungen sein können. Bei den „rai“ handelt es sich schlicht und einfach um die Sonnenstrahlen, im modernen Italienisch „raggi“. Die alte zweisprachige Edition von Reclam Leipzig, die ich seinerzeit als Lektor betreut habe, versammelt die besten klassischen deutschen Übertragungen der Petrarca-Sonette.
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