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Veröffentlicht am 4. Januar 2018 von lyrikzeitung
Nora Iuga
(* 4. Januar 1931 in Bukarest, eigentlich Eleonora Almosnino)
Die verlassene Frau
Heute hat die verlassene Frau mir
von ihrem Bett erzählt.
An den Bahnhöfen kommt der Nebel ankündigungslos
und ohne uns genügen alle Nächte bloß sich selbst.
Wälder gibt es
an rastlosen weißen Tagen und der Baum
kämpft gegen seine eigene Konkurrenz
wie die Häftlinge in engen Innenhöfen.
Die verlassene Frau gleitet an den Nächten vorbei
und beleuchtet den Bahnsteig
mit ihrem schönen Busen.
Wer versteht es heute noch zu lieben
und wer ist so heldenhaft
den banalen Tod zu empfangen
schuldig allein, mit Wollust
eine Frau betrachtet zu haben, länger
als seine eigene Zeit …
Die verlassene Frau hat auf mich eingeredet
und rechts drei Männer
drei Männer links und noch ein paar mehr
im Briefkasten versammelt.
Mit uns verflüchtigt sich die Menschheit
nach jeder Saison, und ich hätte nicht länger
zu warten brauchen, denn viel zu schön
entkleiden sich bei Dunkelheit des Nachts
im Bett die Wörter.
Aus: Nora Iuga: Gefährliche Launen. Ausgewählte Gedichte. Aus dem Rumänischen von Ernest Wichner. Stuttgart: Klett-Cotta, 2007, S. 19
Kategorie: Rumänien, RumänischSchlagworte: Ernest Wichner, L&Poe-Anthologie, Nora Iuga
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