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Goethe schrieb eine Rezension der Sammlung „Des Knaben Wunderhorn“, in der er zu den über 200 Gedichten des Bandes „das unterhaltende Geschäft [übernahm], sie alle der Reihe nach, so wie es uns der Augenblick eingibt, zu charakterisieren“. Da heißt es „Lieblich konfus und deshalb Phantasie erregend“ oder „Katholisches Kirchentodeslied. Verdiente, protestantisch zu sein.“ oder auch mal kurz „Glücklicher Einfall“.
In der sehr preiswerten Neuausgabe der Killy-Anthologie „Epochen der deutschen Lyrik“, die jetzt „Deutsche Lyrik von den Anfängen bis zur Gegenwart“ heißt und in 10 Bänden auf über 4000 Seiten chronologisch geordnet eine gar nicht kanonische Sammlung für weniger als 20 Euro erhält (!), gibt es einen nicht von Killy stammenden Nachtragsband der Lyrik von 1961 bis 2000. Ich werde den mir bisher neuen Band auf diese Weise erkunden: Lesen und spontan eine kurze Notiz aufschreiben. (Selbst wenn die spontane Notiz mal herb ausfällt auch zu Texten und Autoren, die ich sehr schätze). Ein unterhaltendes und ja vielleicht auch (für mich) lehrreiches Geschäft.
Teil 1 (1961) hier
Heute die Jahre 1962-1965
1962
Johannes Bobrowski: Hölderlin in Tübingen – wenn nicht alles täuscht, auch einer, den wir nicht brauchen wollen
Rolf Dieter Brinkmann: Kulturgüter – Zeitgenosse Bobrowskis, fertigt Stockhausen, Böll, Andersch, Benn and the lot in nur 14 Atemzügen ab
Heinz Czechowski: Theresienstadt – wohin dein Fuß auch tritt, hat Deutschland „Schmerz bereitet“
Rolf Haufs: Gespräch mit dem Baum – Brechts Bäume verfolgen ihn
Peter Huchel: Winterpsalm – Klassiker der Zeugenschaft
Peter Huchel: Der Garten des Theophrast – Gespräche wie Bäume
Christine Lavant: Meiner hat mich nie angerührt – den Unberührten helfen auch Priester und Engel nicht
Christoph Meckel: Gedicht über das Schreiben von Gedichten – hat fast genausooft (7) das Wort Wort wie Bachmann (9). Warum kommt es mir hier härter, konkreter vor? Liegt es etwa am Reim?
Peter Rühmkorf: Auf eine Weise des Joseph Freiherrn von Eichendorff – vom Mühlenrad zum Kollergang
Volker von Törne: Amtliche Mitteilung – nicht nur für die Seele ist gesorgt, nehmt es zur Kenntnis!
1963
Ilse Aichinger: Widmung – im Gedicht stirbts sich leicht
Thomas Bernhard: Jetzt im Frühling – relativ sanft
Paul Celan: Tübingen, Jänner – gestotterte Klassik
Günter Eich: Nicht geführte Gespräche – ich habe nichts zu sagen, und ich sage es relativ lakonisch
Bernd Jentzsch: Die grünen Bäume starben in uns ab – frühreif
1964
Hans Magnus Enzensberger: middle class blues – prophetisch
Helmut Heißenbüttel: Gedicht über Hoffnung – Lichterbündelbänder dazwischen Doppelsinn Wortdinger
1965
Hans Arp: Glühen und Blühen – gefährliches Wortspiel
Horst Bingel: Fragegedicht (Wir suchen Hitler) – Hitler ist eine Erfindung, wie schon Goethe ahnte
Friedrich Christian Delius: Hymne – Deutschland ist eine Erfindung
Walter Killy: Deutsche Lyrik von den Anfängen bis zur Gegenwart. 10 Bände. dtv, München 2011, 4064 Seiten, 19,90 Euro.
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