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titelt die Zeit (nicht von heute. sondern die vorige, die verlorene Zeit. Ich hab sie aber noch und lese erst jetzt.) Aber rennt das nicht offene Türen ein? Jeder Germanistikstudent weiß das doch. Genauso sicher wie er später, wenn er Lehrer wird, den Schulkanon von Autoren, Werken und kanonischen Klischees reproduzieren wird, oder? Haben wir, haben die Schüler dadurch gewonnen, daß sie nicht mehr Horaz, manchenorts nicht mehr Goethe lesen, aber dafür andere Bücher auf die gleiche, schon im Hinblick auf die Prüfungen kanonisierte, kanonisches Wissen erzeugende Weise? Nein, im Gegenteil. Das behindert und verhindert entdeckendes Lesen. Und was wäre der manchmal sogenannte Qualitätsjournalismus ohne das kanonische Wissen, welche Namen zu nennen, zu welcher Preisverleihung zu fahren lohnt. Ach, ihr seid doch viel enger, viel mehr auf eine von euch selber zum Kanon erhobene schmale Basis orientiert als noch vor 15, 20 Jahren. Ich glaube euch nicht.
(Aber lese euch doch, man hofft ja stets.)
Zeit schreibt:
Gibt es Klassiker, die sich überholt haben? Ist Weltliteratur völlig unabhängig von Moden, Zeiten und Geschmack? Junge deutsche Autoren unter 35 prüfen den Literaturkanon.
Die befragten jungen deutschen Autoren sind Steffen Popp (Grass’ Rättin? Ab auf den Dachboden), Thomas Klupp (Döblins Franz Biberkopf? Lebt nicht!), Clemens Setz (Bachmann? Kaum zu ertragen), Uljana Wolf (Free Kafka now! From the Graben! Free shipping if you order what andere Kunden hier geordert haben.), Paul Brodowsky (Hemingway? Da ist mir zu viel Schweiß), Thomas von Steinaecker (Raymond Carver? Literatur ist mehr als Verkürzung), Tilman Rammstedt (Max Frischs Montauk? Eitles Geraune), Nora Bossong (Brecht? Gedichte, die Lehrer lieben), Leif Randt (Handke? Fühlt sich soft an), Finn-Ole Heinrich (Effi Briest? Dann lieber Punk), Kevin Vennemann (Martin Walser, Böll, Koeppen, Borchert, Grass, Benn …), Daniela Danz (Ich möchte den Kanon nicht entrümpeln. Es soll alles darin bleiben. Wir haben ja das gegenteilige Problem: Wir beschränken uns im kulturellen Bereich immer mehr auf Weniges, das für herausragend gehalten wird.), Susanne Heinrich (Clemens Meyer, du vielleicht?).
Allein wegen dieser Namen und ihrer oft erfrischenden Sätze lohnt die Lektüre. Wenn mir jetzt jemand nachweist, daß die Zeitung oder irgendeine andere die Bücher dieser Autoren alle auch besprochen hat, zitiere, falsch: ziehe ich den Hut. (Hab ohnehin keinen).
bin zwar kein prosa-liebhaber, aber als weltliterarischen lesetip empfehle ich trotzdem etwas prosaisches, das mal kanonisch geprüft werden könnte:
E.E.Cummings: „DER UNGEHEURE RAUM“
und was den tüv der literatur an sich betrifft, hier ein zitat von Luis Bunuel aus seiner autobiografie „MEIN LETZTER SEUFZER“ (1982):
„Ich verabscheue Reklame und tue mein Möglichstes, ihr aus dem Weg zu gehen. Die Gesellschaft, in der wir leben, ist durch und durch von Reklame geprägt.“
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The enormous room, der ungeheure raum: ein großartiger text des großen cummings!
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kanon prüft kanon? endlich ist das finale perpetuum mobile der weltliteratur erfunden worden! peinlich, aber was sollte man auch von MASSENMEDIEN & MEDIENAUTOREN anderes erwarten? sie kennen nur das, was sich gegenseitig kennt. der teller ist so hoch für flachlandbewohner, daß sie gar nicht sehen, daß er einen RAND hat…. drei bücher und ein gesamtwerk kenne ich, die es sich meiner meinung nach lohnt gelesen zu haben, BEVOR man sich anmaßt, das stempelkissen, auf dem man sich bettet, selbst zu stempeln, also den stempel nicht mehr hineindrückt, damit viel farbe haften bleibt, sondern ihn MÖGLICHST TIEF hineindrückt, daß man seinen abdruck im stempelkissen sehen kann…
Karl Kraus: LITERATUR UND LÜGE
Gerda Zeltner: IM AUGENBLICK DER GEGENWART
Jean-Paul Sartre: WAS IST LITERATUR?
Antonin Artaud: alles was man so von ihm in die finger bekommt…
danach machen jene titel, die in der zeit behandelt wurden, keinen sinn mehr, sie sind sowieso aus dem erwachten geist gelöscht. auch nobelpreisträger können vergessen werden, genauso wie auch nicht jeder documenta-künstler ein weltstar bleibt. andere bücher und andere autoren drängen sich auf, eine geheime (subjektive) weltbibliothek, die unter der hand weitergereicht wird und eine gewisse interpersonale objektivität in kreisen erhält, die schon lange kein interesse mehr an MEDIEN haben, sondern an GEIST…
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Hier macht sich der ein oder andere wirklich lächerlich … das grenzt schon an die Selbstdemontage einer Autorengeneration. Dass das in der ZEIT erschienen ist wundert wenig, blickt man auf deren Eskapaden zur „jungen Literatur“ in den letzten Jahren. *gähn*
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warum gleich so übertreiben? erstens ist das gar keine autorengeneration, zweitens hat das / haben die nur bedingt mit der zeit zu tun, drittens darf jeder brecht grass frisch celan houellebecq oder wen auch immer mögen oder nicht mögen ohne daß gleich sonstwas einstürzt, viertens jeder so klug oder töricht reden wie er mag oder kann; hab ich was vergessen? bestimmt. witziges ist dabei, kluges und eher törichtes, alles nach meiner meinung, u wahscheinlich wird sowieso jeder was anderes für das törichteste halten. übrigens ist der törichteste beitrag auf der website nicht mal dabei, thomas melles celanverriß, haben sie sich das nicht getraut? der jedenfalls kommt sich sehr mutig vor. naja.
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