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Am Donnerstag beginnt das Literaturfestival textenet.de. Das Programm klingt vielversprechend.
Keine 30 Tage hatten Steffen Birnbaum und Bertram Reinecke Zeit, ein Konzept auf die Beine zu stellen. Für den Verband deutscher Schriftsteller und den Förderverein Freie Literaturgesellschaft Leipzig leiten sie das Festival, mit dem einerseits eine Tradition aufgenommen wird, das andererseits aber neu, eigenständig, anders sein soll. Natürlich steckt auch die Finanzierung den Rahmen mit nicht einmal der Hälfte der 40 000 Euro, aus denen der letzte Literarische Herbst 2002 schöpfen konnte. Doch wenn es darum geht, Leipzig als einen „Ort des Lesens und literarischen Gesprächs“ beim Wort zu nehmen, wie auch der neue Kulturbürgermeister Michael Faber es tut, und dies wiederum nicht auf das die Buchmesse begleitende Festival „Leipzig liest“ zu reduzieren, dann müssen eben die Ideen rieseln und Kräfte gebündelt werden. „Innerhalb von zehn Tagen haben wir den Projekt- sowie den Kosten und Finanzierungsplan erstellt“, erzählt Birnbaum. „War früher der Herbst am Kulturamt angebunden, wurden jetzt die Fördermittel an beide Vereine ausgereicht.“ Um nicht permanent dem Vergleich mit dem Vorgänger zu begegnen, gab es die Umbenennung in textenet.de. „Als der Literarische Herbst startete, war das etwas Neues, Frisches“, ergänzt Reinecke, „wir hatten das Gefühl uns distanzieren zu müssen insofern, dass ein Revival auch ein bisschen einseitig wirkt, und haben dann geguckt: Was sind für Entwicklungen ins Land gegangen, welche anderen Möglichkeiten gibt es heute. Wir wollten das Internet zur inhaltlichen Profilierung nutzen.“ So wird es im Rahmen des Festivals „Versnetze“ geben, virtuelle Lesungen, die [… im Internet*] übertragen werden. Das Erinnern an 20 Jahre Friedliche Revolution soll zwar auch hier begleitet werden, allerdings nicht mit Gedenkveranstaltungen, sondern in Anknüpfung an Arbeits- und Organisationsformen, die damals entstanden. „Dass man sich Allianzen sucht, dass man in Galerien auftritt, dass man Kombinationen findet, die ungewöhnlich sind.“ Reinecke verweist auf den „buchfreien, den sprechenden Umgang“ mit Literatur. Vor 1989 war das aus der Not geboren, aber zukunftsträchtig. Gleichwohl gibt es inhaltliche Anknüpfungspunkte wie den Roland-M.-Schernikau-Abend „Die DDR ist richtig und die BRD ist falsch“ am 20. November in der Galerie A und V. Zwei Tage später diskutiert Friedrich Schorlemmer in der Moritzbastei mit Bert Papenfuß. Beide waren auf ihre Weise Protagonisten der Friedlichen Revolution, beide Männer des Wortes – der eine auf Dialog setzend, der andere subversiv, das Tischtuch zerschneidend. Glaubenszuversicht hier, No-Future-Bewegung da. „Das wird nicht ganz leicht“, freut sich Reinecke, der Moderator. Damals sei der Grundstein gelegt worden für das, was heute in der Literaturszene passiert, sagt Birnbaum, gerade durch szenische Lesungen, Lesungen mit Musik, durch Auftritte in Galerien. Dass bei lyrischen Lesungen das Hör-Publikum das Buchkauf-Publikum übersteigt, hat freilich Vor- und Nachteile. Nachteile für die Verlage nämlich, von denen es in der alten, neuen Buchstadt Leipzig noch immer mehr gibt, als viele befürchten. Sie werden sich am 21. November in der Werkstatt für Kunstprojekte vorstellen – darunter Faber & Faber, der Leipziger Literaturverlag (ehemals Erata), die Connewitzer Verlagsbuchhandlung, PaperOne oder Plumbum. Auch der Poetenladen, auf dessen Internetseite der Schriftsteller Gerhard Zwerenz seit September 2007 über „Die Verteidigung Sachsens und warum Karl May die Indianer liebte“ schreibt, eine Fortsetzung in 99 Fragmenten. Zur textenet.de-Eröffnung am 19. November liest er daraus im Haus des Buches. Dieser längst etablierte Leseort kontrastiert mit neueren Räumen wie der Galerie A und V, MZIN oder FHL-Club. „Wir sind darauf angewiesen, Synergie-Effekte zu nutzen. Und es ist nach wie vor ein ‚Festival der heimischen Literaturvereine‘, betont Birnbaum. Sie alle wollten unbedingt auch ein paar jüngere Autoren haben, um Entdeckungen zu ermöglichen. Die stehen nun neben bekannten Autoren wie Eva Menasse, Günter Wallraff und Johano Strasser. Insgesamt lesen an 7 Tagen 107 Autoren auf 50 Veranstaltungen an 17 Orten. Es wird Buchpremieren geben, Mini-Dramen, einen Sonette-Abend, Kriminacht, Finissage, Musik, MDR-Radio-Café, Zeitschriften-Lesungen und Diskussionen. Den Schlusspunkt setzt am 25. November die Preis-Gala des Michael-Lindner-Literaturwettbewerbs. Einzige schlechte Nachricht: Harry Rowohlt hat abgesagt. Die gute: er will nächstes Jahr kommen. Die Fördermittel sind beantragt, die Hoffnung stirbt zuletzt.
textenet.de – das Literaturfestival in Leipzig 09: 19. bis 25. November. Das komplette Programm im Internet: www.textenet.de
Programmhefte in Kneipen und Veranstaltungshäusern
/ Janina Fleischer, Leipziger Volkszeitung 13.11.
*) auch hier, L&Poe
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