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Albrecht Wellmer, der ehemalige Assistent von Jürgen Habermas und bis 2001 Philosophieprofessor diesseits und jenseits des Atlantiks, hat seine Analyse des Verhältnisses von Musik und Sprache nicht klein angelegt – und sich Zeit mit der Publikation gelassen. Nun legt Wellmer unter dem bescheidenen Titel „Versuch über Musik und Sprache“ nichts weniger als ein Standardwerk vor, eine wegweisende Übersicht zum Thema – seinem zuweilen etwas professoral wirkenden Duktus zum Trotz. Ein Übersichtswerk ist das Buch nicht zuletzt deshalb, weil der Theodor-W.-Adorno-Preisträger von 2006 explizit darauf verzichtet, „originelle Interpretationen von Musik selbst zu formulieren“. Vielmehr zeichnet er breitflächig historische Entwicklungslinien der Musikästhetik auf, wertet Erkenntnisse anderer Autoren aus – als einer der wichtigsten zieht sich Adorno, gleichsam als roter Faden, durch Wellmers Darstellung – und stellt Positionsvergleiche an, die jeweils den Weg freilegen für die nächstfolgenden Analyseschritte.
Ausgehend von der Leitfrage, ob es eine Sprache der Musik gebe bzw. ob die Musik „sprachähnlich“ sei, reflektiert Wellmer umsichtig Antworten und Erklärungsmodelle – und gibt schließlich gegenüber den komplizierten und, wie er nachzuweisen vermag, oftmals irreführenden Analogisierungsversuchen von Sprache und Musik eher bildhaften Erklärungen wie jener des englischen Komponisten Brian Ferneyhough den Vorzug, der die Musik als „Satellit der (Wort-)Sprache mit einer extrem exzentrischen Umlaufbahn“ zu verstehen versucht.
Albrecht Wellmer geht es stets um Sprachlichkeit in der Musik im weitesten Sinne. Davon zeugen insbesondere seine umfangreichen und virtuosen Fallstudien zu zwei der Schlüsselkomponisten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nämlich John Cage und Helmut Lachenmann. Darin geht der Autor weit über eine bloße Analyse des im Titel angegebenen Themenfeldes hinaus.
Was Wellmer tiefstapelnd „Versuch über Musik und Sprache“ nennt, entpuppt sich am Ende als eine komplexe und detaillierte Interpretation der komplexen neuzeitlichen Musikphilosophie.
Fritz Trümpi in Falter : Woche 37/2009 vom 9.9.2009 (Seite 18)
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