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Misch-Text von Wilhelm Fink, Hamburg
Eva Hesse: »Die Überflüssigkeit der höchsten aller Berufungen [der kreativen] in der modernen Welt drückte sich niederschmetternd materiell in der Unmöglichkeit aus, sich durch dichterische Leistungen den bescheidensten Lebensunterhalt zu verdienen, wie Pound an seinen Freunden und an sich selbst erfuhr.«
Je bizarrer ein Mensch ist, um so schwerer hat er es. War es nicht seltsam (Eva Hesse berichtet es), dass Ezra Pound in der Tat immer wieder auf Menschen zusteuerte, die nicht gut für ihn waren? – Worum handelt es sich? Grillparzer: TGB II,8 290: »Meine inneren Zustände! Das Unzusammenhängende, Widersprechende, Launenhafte, Stoßweise darin übersteigt alle Vorstellung. Heute Eis, morgen in Flammen«. – Auch Charlotte von Kalb war es nicht gegeben, eine richtige Gefühlspolitik zu treiben. Wollte sie einen Freund gewinnen, so übergoß sie sein Herz mit Sturmfluten ihrer Empfindungen: dass ihm der Atem verging und sein Glück sich fast in Furcht wandelte. – – Sie schrieb einmal, was das Gute und Erhabene im Leben sei, – »Nur die Ehrfurcht für das, was wir in uns und anderen GEIST nennen«. Und sie fährt fort – – : »daher sind die Affekte als Schranken des Guten und des Lichts so quälend.« Es sind spezielle Wesenszüge, die wir bei vielen Schriftstellern finden. . Einen Reizpunkt ansteuern, in eine Problemschleuse sich einschließen lassen: Ist es ein selbstquälerischer und zwanghafter Zug? Zum Beispiel – das schier Incompatible zusammenführen wollen, sich in Gegensätzen erproben wollen, die unvereinbar scheinen. Es heißt (bei Kafka, TGb) – »Der Schriftsteller, zu Lebzeiten tot und doch der eigentliche Überlebende, kann aufzeichnen, was er unter den Trümmern sieht, denn er sieht anderes und mehr als die anderen.«
Wenn Schlaf das Hineinkriechen des Menschen in sich selbst ist (Hebbel), so zeigt mir der Schweizer E.Y. Meyer (»Rückfahrt«), dass Schreiben auch eine Form sein kann, – zu verschwinden. Nämlich schreibend die Dinge so zuzuspitzen, dass man sich von den Menschen hinwegschreibt, z.B der Schweizer Hermann Burger. So sehr ich Ihre Briefantwort genoß, Günter Kunert, und so lebendig und geisteshell Sie vor 8 Wochen im Radio zu hören waren, so sehr legt sich jetzt Victor E. Frankl auf meine Seele: »Wer den Leser nicht gegen Verzweiflung gefeit machen kann, der soll es wenigstens unterlassen, ihn damit zu impfen.« (ich einst auf einer Postkarte an Günter Kunert)
Jede Meinung ist auch ein Versteck, jedes Wort auch eine Maske, Nietzsche. Er sagt sogar: »Um weise zu werden, muss man gewisse Erlebnisse erleben wollen, also ihnen in den Rachen laufen.« – Als ästhetische Phänomen ist uns das Dasein immer noch erträglich. – Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum. – Die Künstler enthüllen das Geheimnis, dass jeder Mensch ein einmaliges Wunder ist. (Nietzsche)
Das Texten, das Schreiben, das im Ginsterkleid der Sprache herumzupfen beginnt ähnlich wie man beim Weben zuerst, welche Wolle, welches Material ich wähle.Es geht um die Stofflichkeit, ob genarbt, zottig, es gestaucht oder locker ist, ich prüfe die Flausen und die Verdickungen (Noppen), ich greife nach dem, was hervorsteht in Drehungen und in den Wirbeln der Fäden. Selbst die Art der Beimischungen, des Fetts und der Lanolinbestandteile, auch farbliche Einsprengsel: alle diese Dinge geben Charakter. Und was geschieht? – Unter Spannung, in Zug und Drehung, dann wieder lockernd und ausgleichend, im Greif-Rhythmus der ordnenden, begleitenden Hände, beginnt das Spinnen. Unterdessen ordne ich am groben Tisch die Elemente. Ich bin in meiner Hecke. Ich durchdringe sie tastend und suchend. Dabei werde ich mir über ihre Struktur klar. Welche Zweige gehören welchem Gebüsch? Was liegt über- was untereinander im Gewirr der Stücke, der Stöcke und Ästlein. Freigegebene Spannung schlägt mir „klatsch!“ ins Gesicht: so geht es, wenn man in Strukturen eingreift mit sorglosem Griff. Shuttle ist ja nicht nur die Fähre (am Fluß, im Weltraum), sondern auch das Weberschiffchen, dass beim Teppichweben hin- und herflitzt. Ähnlich wie unser Lebensfaden von den Nornen oder Parzen in der Tiefe gesponnen wird. Ich dachte auch, dass der Dichter ein Fährmann ist, ein interprete, einer, der andere und anderes nach drüben über setzt, ein traduttore. Hemingway hat sich nie von der Kindheits- und Jugendprägung gelöst. Der Sieger geht leer aus. Seine Mutter (wie die Goethes) war in ständiger Nähe, ihrer Anwesenheit, auch wenn sie körperlich abwesend war, erdrückend. – Die Nachbarin der Hemingways, gefragt, wie sie denn war? Die Nachbarin zögerte, es zu sagen. «Groß war sie, überwältigend, wissen Sie, ich kann es nur so sagen, – sie sah aus wie der Weihnachtsmann.« Hölderlin wußte genau, was er immer wieder so und nicht anders tat. Er änderte sein Verhalten nicht. Darin lag der Hauptpunkt seines Leidens an der Welt und an den Menschen. Bewußt sich in die Schlachtbank legen. Dem Metzger noch verbal die Hand führen, damit alles richtig geschieht. Wie schrieb Hölderlin nach Bordeaux? Brief Nr. 238: »Ich bin nun durch und durch gehärtet und geweiht, wie Ihr es wollt. Ich denke, ich will so bleiben, in der Hauptsache. Nichts fürchten und sich viel gefallen lassen.«
Für HECATE formulierte ich bei swisstalk – Wer kennt schon das Internet-Klima? Die Typen verselbständigen sich, Heizhaus- und Setzkasten-Atmosphäre des Internets, Übertemperatur, Wachstumsklima. Dein Nick, dein Pseudo, dir zuerst nur lose übergestülpt, nestelt sich mit Ablegerfäden in Tropenstimmung an deine Kopfhaut, plötzlich hast du eine neue Schwarte über dem Schädel, dir wachsen neue Speicher- und Arbeitsplätze zu, das Netzhirn, zwischen deinen Brauen, als ovaler Stirnschmuck, – dort öffnet sich erstmals das Scheitel-Auge, damit erblickst du Dinge, von denen »das Freitags ein bißchen Gälisch lernende« Mädchen HECATE sich bisher nichts träumen liess, du sprichst im Pinboard dies alles für uns aus, HECATE und wir lauschen dir als der total Fremden, die den Schlüssel zum grossen schwarzen Kasten hat.
Karl Philipp Moritz schildert, ganz wie später Fontane, wie in einer Gesellschaft ihn der Rededrang befällt. Nicht aus Eitelkeit, sondern aus Verlegenheit, aus Scham, für sich und die anderen, in dieser LEERE, für das Menschengeschlecht (die er füllen möchte).
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