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Veröffentlicht am 1. Januar 2023 von lyrikzeitung
Theodor Kramer
(* 1. Januar 1897 in Niederhollabrunn, Österreich-Ungarn; † 3. April 1958 in Wien)
WIR LAGEN IN WOLHYNIEN IM MORAST . . . Wir lagen in Wolhynien im Morast, der mählich überging in schwarzen Sumpf, seit Tagen eingegraben; grüner Glast gab Blasen ab und strich aus Strunk und Stumpf. Tief unter Wasser ging gedämpft der Schall der Minenwerfer und Granaten auf, und Wassersäulen warfen weißen Schwall, vermengt mit Fasern und Getier, herauf. Des Ulmenwalds, der hinter uns verzog, ward jede Nacht ein Strich samt Stumpf und Stiel gefällt; der schwarze Schein des Wassers trog und die Geschütze schossen übers Ziel. Die Stellung war fast sicher. Nur der Grund stieg hoch und stieg uns feucht bis an die Knie; wir stopften ihm mit Sand den schwarzen Schlund, der wie ein Kind durch die Verschalung schrie. Und durchs Gebälk stieg sacht, doch stet die Flut und fraß den Sandsackwall. Von unsren Zeh'n fiel schwarz das Fleisch, zu Kopf stieg uns das Blut; kaum konnten wir die spitzen Reiter sehn. Wir lagen ausgestreckt (daß das Gewicht sich sehr verteile) dann noch stundenlang und lauschten, bis sich hob das frühe Licht, entspannt dem Wind, der in den Ulmen sang.
Aus: Poesiealbum 96: Theodor Kramer. Ausgewählt von Bernd Jentzsch. Berlin: Neues Leben, 1975, S. 8f
Kategorie: Österreich, DeutschSchlagworte: Theodor Kramer
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