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L&Poe Journal #02-2022
2021 gab es eine aufgeregte und wüste Debatte um einen Aufsatz von Konstantin Ames.* Aus dem zeitlichen Abstand versuche ich eine Neubesichtigung. War da was war was da da was war da war was was war da was da war.
Im ersten Teil lese ich den Aufsatz (von dem es ausging, obwohl es gar nicht um ihn ging) Satz für Satz, um zunächst die Grundlagen zu überprüfen. Dem mag ein Blick auf die Debatte folgen.
Ich war damals beteiligt und Partei. Teils freiwillig, teils unfreiwillig. Ich kann nicht erwarten, dass meine Neubesichtigung aus dem Abstand von anderthalb Jahren bei den damaligen Kombattant- und Mitstreiter-Innen zur Klärung (Befriedung?) beitragen kann. Ich habe meine Meinungen – über den Text und die Debatte. Die Adjektive aufgeregt und wüst zeugen davon. Dieser Text ist (soll werden) für mich weder Schlussstrich noch Bilanz, welcher Art immer, sondern der Versuch, meine überbliebenen Meinungen zu überprüfen. Erst über den Text und dann vielleicht über die Debatte.
Ich habe meine Meinungen, ich erinnere mich an sie. Aber weiß ich, was herauskommt, wenn man irgendwelche analytischen Bestecke in den Prozess wirft? Ich ahne es nur.
Ein Verfahren, um zu den eigenen Meinungen etwas Abstand zu gewinnen, ist die Sukzession. Mit voller Absicht komponiere ich nicht einen Text, der erst dann veröffentlicht wird, wenn er geprüft und abgerundet worden (und der eigenen Meinung unterworfen) ist. Ich gehe Satz für Satz vor und veröffentliche das sofort portionsweise. Freunde und Kontrahenten sind eingeladen, genauso sukzessiv mitzulesen und mindestens nicht gleich volles Rohr draufzuballern. Wer zuerst schießt, also schreibt (o Gott, die martialische Sprache schon gleich!), mag zuerst im Vorteil sein – aber er wird dann ja auch von allen Seiten gesehen. Halali!
*) Den Beitrag gab es beim Signaturen-Magazin. Dort kann ihn noch heute jeder nachlesen. Anders die Debatte. Die fand in der damaligen Halböffentlichkeit eines Facebook-„Threads“ statt. Verschiedene Aufforderungen, bei Signaturen weiterzudiskutieren, fanden kein Gehör. Schon den damaligen Teilnehmern war es aus verschiedenen Gründen unmöglich, sämtlichen Verzweigungen auf Facebook zu folgen. Heute ist es praktisch unmöglich, die Debatte im FB-Dschungel auch nur zu finden. Wer zum Zwecke des Mitredens nachlesen will, bräuchte wohl tausend Seiten Bildschirmschnappschüsse.
Konstantin Ames: Grußwort zum Endebeginn des Lyrikbetriebs | er meint, das Ende des Lyrikbetriebs habe begonnen. Wenn der Anfang vom Ende noch (lange) nicht das Ende ist, warum machte die Debatte „von Anfang an“ den Eindruck von Endgültigkeit. Endgültiger Zerrüttung. Worum ging es eigentlich, um Geld? Aufmerksamkeitspunkte? Wegkicken des / der KontrahentInnen? Welcher Blumentopf war zu gewinnen / zertöppern? „Grußwort“: A. sitzt von je der Schalk im Nacken. |
Es ist eine Zahl, die mich zuerst darauf brachte – und Zahlen achten wir doch alle über alles; es ist die Zahl 600: Das ist die Zahl der Einsendungen zum Jahrbuch der Lyrik 2021; sie findet sich im Schutzumschlag dieser „bedeutendsten jährlichen Sammlung neuester (!) deutschsprachiger Gedichte“. | ob „wir alle“ wirklich Zahlen über „alles“ achten, kann bezweifelt werden. Ich habe in meinem Leben viel öfter beobachtet, dass mit Ablehnung reagiert wird, wenn man mit Zahlen kommt. Im Kern sind wir doch Romantiker geblieben. Aber okay, es ist ein sprachlicher Kniff des Textes. |
Von 600 Einsendungen ist auch im Jahrbuch 2022 die Rede. | |
„bedeutendsten“ (!!) A. kommentiert hier nur mit einfachem (!) das Wort „neuester“. Dem „bedeutendsten“ oder, wie auch zu lesen war, „einzigen wahren“ Lyrikjahrbuch fehlt es an Unbescheidenheit nicht. Bei allem Respekt, haben die Macher oder Kritiker das ebenfalls langjährige Jahrbuch von Axel Kutsch wirklich so gründlich analysiert, dass sie es stillschweigend abtun können? Wollen sie es durch bewusstes Verschweigen „erledigen“? (Wir sind einmal bei der Militanz!) | |
– Aus Hochachtung vor den Kollegen Bonné, Kraus und Callies tat ich etwas, das ich mir geschworen hatte, nicht mehr zu tun. | Nicht mehr einzusenden, manche machen es wirklich, manche sprechen nur davon. Spätestens seit Oswald Eggers‘ „Ich will nie wieder beim Lyrikjahrbuch mitmachen“ ein running gag. |
Ich schickte Poeme zum Lyrikjahrbuch; ein performatives Gedicht (2019), ein Fakesonett (2020) und eine semantische Übersetzung (2021). Alle drei Dingelchen kamen nicht auf den „Nein-Stapel“ (Chr. Buchwald), sondern wurden abgedruckt. | Wer sich für die Gedichte von Ames interessiert, könnte hier dankbar ansetzen. Hat glaube ich keiner erst versucht. |
Als ich ein Jahrzehnt zuvor in zwei Jahrbüchern (2008f.) vertreten sein durfte – und deshalb brachte mich die Zahl 600 ins Grübeln – las man in den Nachworten von Uljana Wolf und Ulf Stolterfoht von einer jeweils vierstelligen Zahl an Einsendungen … 9000 … 8000 … Ein Jahrzehnt später haben wir es mit einem Gutteil Einsendungen weniger zu tun. Selbst wenn alle Einsender die maximale Zahl von zehn Gedichteinsendungen ausgereizt haben sollten, wären zum amtierenden Jahrbuch nicht mehr als 6000 Einsendungen eingegangen. | Ich ziehe zufällige 6 Stichproben aus dem Regal: 1984: „Strudel“ 2000: „Fülle der Einsendungen“ 2006: rund 10.000 2013: mehr als 900 2015: über 1000 Einsendungen 2020: k.A. Die nicht repräsentative Stichprobe scheint den „Trend“ zu bestätigen. |
Für die folgenden Fingerzeige verwende ich aus Gründen der Sprachökonomie und -ästhetik das generische Maskulinum; jede* und jeder* sind von Herzen gemeint. | „von Herzen“, klar (hat aber nicht geholfen, stoßseufze ich im Blick auf die verbissene Diskussion) |
Fortsetzung folgt.
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