Flieh, neidsche Zeit

John Milton 

(* 9. Dezember 1608 in London; † 8. November 1674 in Bunhill bei London) 

An die Zeit

Flieh neidsche Zeit, bis du dein Ziel erreichet,
Beschleunige der Stunden schweren Gang,
Des Eile nur dem Schritt des Senkbleis* gleichet,
Es sättige dich was dein Rachen schlang,
Das Eitle, Falsche, denn nur das wird dein,
Nur Erdentand und Staub;
So wenig ist dein Raub,
Und der Verlust so klein.
Wirst endlich alles Böse du begraben,
Zuletzt die eigne Gier verzehret haben,
Dann nahet Ewigkeit mit hohem Gruß
Und bringt den unteilbaren Kuss;
Und einer Flut gleich wird die Freude steigen,
Wenn jedes wahrhaft Gute sich wird zeigen,
Das Göttliche hell scheinen
Und Wahrheit, Friede, Liebe sich vereinen
Um dessen Thron zu schweben,
Zu dem wir uns im Himmelsflug erheben,
Ihn anzuschaun durch alle Ewigkeit,
Tief unter uns die dunkle Erdenbahn,
Ruhn ewig wir, in Sternen angetan,
Erhaben über Zufall, Tod und dich, o Zeit.

Aus dem Englischen von Arthur Schopenhauer, aus: Lyrik des Abendlands. Gedichte aller abendländischen Völker von den Homerischen Hymnen bis zu Lorca und Brecht. Gemeinsam mit Hans Hennecke, Curt Hohoff und Karl Voßler ausgewählt von Georg Britting. München: Hanser, 1978, S. 277

* ) Vgl. Anmerkung zum englischen Text

On Time

Fly, envious Time, till thou run out thy race,   
Call on the lazy leaden-stepping1 hours,   
Whose speed is but the heavy plummet's2 pace;   
And glut thyself with what thy womb3 devours,   
Which is no more then what is false and vain,  
And merely mortal dross;   
So little is our loss,   
So little is thy gain.   
For when as each thing bad thou hast entombed,   
And last of all, thy greedy self consumed,
Then long Eternity shall greet our bliss   
With an individual4 kiss;   
And joy shall overtake us as a flood,   
When every thing that is sincerely5 good   
And perfectly divine,  
With Truth, and Peace, and Love shall ever shine   
About the supreme throne   
Of Him t'whose happy-making sight6 alone,   
When once our Heav'nly-guided soul shall climb,   
Then all this earthy grossness quit, 7
Attired8 with Stars, we shall for ever sit,   
   Triumphing over Death, and Chance, and thee, O Time.

Aus: Milton’s Selected Poetry and Prose. Critical Edition. Ed. Jason P. Rosenblatt. New York, London: Norton, 2010, S. 21f

Worterklärungen aus dieser Ausgabe

  1. slow-moving
  2. Not a pendulum but the lead weight affixed to the newly invented lantern clock, whose graduated descent drove the movement. Vgl.
  3. stomach
  4. indivisible, everlasting
  5. wholly
  6. beatific vision
  7. having been left behind
  8. crowned

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