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Ich bleibe noch einen Tag bei Handrij Zejler. Ein Gedicht des deutschen und sorbischen Dichters Kito Lorenc, der als Christoph Lorenz aufwuchs, bis er seine sorbische Herkunft entdeckte. Kito Lorenc war einer aus dem mächtigen Haufen der „sächsischen Dichterschule“. Hier huldigt er dem Vorfahren Seiler/Zejler.
Huldigung für den Fabeldichter Handrij Zejler Ein Wagen ohne Deichsel, Rad und ohne Beispiel ein Traktat, sie seien noch so fabelhaft: mit beiden hast du nichts geschafft. Vorspruch zu den Fabeln, 1855 So fabulös war alles erdacht: Die Weisheit muß man unter die Leute fahren, zu Markte karren fuderweis, und damit es fährt, das Fuhrwerk, braucht es als Beispiel das Rad. Da rollt nun das Wägelchen immer gemächlich im Trochäus oder auch munter im Daktylus fein brav den Heideweg lang holterdipolter Versfuß um Versfuß im Schritt hin über Wurzel und Stock und Stein sechs Strophen weit bis zum Ziel, wo dann beim Reimgewend die Lehre, sprichwörtlich gebündelt, vom Wagen kippt mit einem Ruck. Doch unterwegs, so Verszeile drei, bricht, unter der Schwere der Ladung, das Rad ab der Fuchs, will sagen das Beispiel, und tippel tappel, ach laßt doch den Wagen, es hinkt jetzt, das Bild also der Fuchs, dies zum Beispiel, läuft Ähren lesen ins Feld und alle Leser wie Mäuse ihm nach — weg sind sie strophenlang. Item der Wolf, da rennt er gleich Brennholz sammeln im Wald, der Dachs macht sein Nickerchen am Wegrand, der Hase spielt Geige, es schwätzt der Hamster mit dem Bauer im Haustor, seinen Kuhflatsch erblickt der Mistkäfer, zur Kirmes ins Dorf eilt die Feldmaus, der Bär lädt zum Schlachtfest, der Aberglaube hinwiederum und was seine Braut ist, die Faulheit, die beiden feiern Hochzeit elf Strophen durch, vor sie sich ersäufen lassen in der Moral. Folglich das Traktatwägelchen, jetzt brauchen wir's wieder, kommt nicht vom Fleck, verstreut sind die Leser in der Zeit, die Räder zu suchen, zum Beispiel den Fuchs, der lief tippel tappel – Und überall wartet der Dichter verschmitzt schon mit seinem Wagen, auf dem Heideweg in der Vergangenheit hinten oder vorn in der Zukunft auf der Asphaltstraße‚ und deichselt die Wahrheit.
Aus: Poesiealbum 143: Kito Lorenc. Berlin: Neues Leben, 1979, S. 18f
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