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Veröffentlicht am 12. August 2022 von lyrikzeitung
Christian Morgenstern
(* 6. Mai 1871 in München; † 31. März 1914 in Untermais, Tirol, Österreich-Ungarn)
Der Gaul Es läutet beim Professor Stein. Die Köchin rupft die Hühner. Die Minna geht: Wer kann das sein? – Ein Gaul steht vor der Türe. Die Minna wirft die Türe zu. Die Köchin kommt: Was gibt's denn? Das Fräulein kommt im Morgenschuh. Es kommt die ganze Familie. "Ich bin, verzeihn Sie", spricht der Gaul, "der Gaul vom Tischler Bartels. Ich brachte Ihnen dazumaul die Tür- und Fensterrahmen!" Die vierzehn Leute samt dem Mops, sie stehn, als ob sie träumten. Das kleinste Kind tut einen Hops, die andern stehn wie Bäume. Der Gaul, da keiner ihn versteht, schnalzt bloß mal mit der Zunge, dann kehrt er still sich ab und geht die Treppe wieder hinunter. Die dreizehn schaun auf ihren Herrn, ob er nicht sprechen möchte "Das war", spricht der Professor Stein "ein unerhörtes Erlebnis!... "
Aus: Lustige Lyrik. Fünfzig komische Gedichte. Ausgewählt von Harry Fröhlich. Ditzingen: Reclam, 2021, S. 42f
Kategorie: Deutsch, DeutschlandSchlagworte: Christian Morgenstern
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