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Lettisches Volkslied
Bittre Tränen weint der Mond 1 Leute gruben mir ein Grab, Auf dem Grabe blühn mir Rosen; Sitze da im Grab und flechte Mir aus Rosen einen Kranz. 2 Denen, die mich tadeln, wünscht’ ich Garnicht allzu sehr viel Schlimmes: Teufelherz und Beulenstirn, Pickel an die Zungenspitze. 3 Schmied, mein Bruder, schmiede mir Fingerhandschuhe aus Eisen, Daß ich Maulschell’n langen kann Dem, der mich verleumdet hat. 4 Hab mir einen Kranz gewunden Aus verbreiteten Gerüchten; Er verwelkt nicht an der Sonne, Auch nicht in geheizter Stube. 5 Gott, ach Göttchen, was denn jetzt? Schmerzhaft wund ums Herz ist’s mir. Wird die Schicksalin mir enden Unter einem Haufen Steine? 6 Ich vor Arbeit wat’ im Morast, Kann die Schicksalin nicht sehen; Ist vielleicht ja meine Laima Mir am Rand des Moors versunken. 7 Bruder mein, ich bitte dich, Gehe mir nicht in die Schenke, Laß da meinen Kranz mir nicht Im Glas Bier zugrunde gehn. 8 Schwester, mit der Nadel stick mir ins Taschentuch ein Muster, Womit ich die Augen wisch, Wenn ich nach dir weinen muß. 9 Bittre Tränen weint der Mond, An den Quellenrand gekommen, Wo ertrank die Sonnentochter, Als sie wusch die goldnen Kannen.
Aus: Kur Dieviņi tu paliksi. Wo Gott wirst du bleiben dann. Lettische Volkspoesie. Ausgewählt von Amanda Aizpuriete. Nachgedichtet von Manfred Peter Hein anhand der Übersetzung von Horst Bernhardt (FÄKÄTÄ 13). Germersheim: Queich, 2011, S. 9f
Mēnestiņš gauži raud 1 Ļaudis man kapu raka, Man kapā rozes zied; Es, kapā sēdēdama, pinu rožu vainadziņu. 2 Es savam pēlējam Daudzi ļauna nevēlēju: Velns sirdē, puns pierē, Pūte mēles galiņā. 3 Kalējiņi, bāleliņi, Kal man dzelza pirkstainīšus, Lai es varu pliķi cirst Valodiņu cēlājiem. 4 Es noviju vainadziņu No tām ļaužu valodām: Ne tas vīta saulītē, Ne siltā istabā. 5 Vai Dieviņ, kas nu būs Gauži sāp man sirsniņa. Vai Laimlte nositās Akmeniņu kaudzītē? 6 Darbu veicu, dubļus bridu, Nevar Laimes saredzēt; Laikam gan mana Laime Purva malā nogrimusi. 7 Es tev lūdzu, bāleliņi, Nelaidies krodziņā, Neliec manu vainadziņu Alus glāzes dibenā. 8 Tu, māsiņ, rakstītāja, Norakst’ manu nēzdodzinu, Kur es acis noslaucīšu, Pēc tevim raudādams. 9 Mēnestiņš gauži raud Avotiņa maliņā: Saules meita noslīkuse, Zelta kannas mazgādama.
„Die Lieder wurden vor allem von den Frauen tradiert. Kummer und Freude herauszusingen war für sie anscheinend ebenso natürlich wie das Atmen (oder für den Wolf das Heulen). Beim Viehhüten vertrauen die jungen Mädchen Bäumen, Gras und Himmel ihre Vorahnungen an, und frühmorgens in der Mahlkammer, während sie mit kräftiger Hand die Mahlsteine drehten, besprachen sich die Frauen singend mit Laima, ihrer Schicksalslenkerin; Kräuterfrauen murmelten am Bett von Kranken und Gebärenden rhythmisch die überlieferten Bannsprüche. In den Sommernächten, beim Baden im See, summte jede Frau wohl einmal vor sich hin: „Macht’ aus weißen Blumen Feuer, mir ein Feuer hier am See …“ Und zu den Sonnwendfesten, sei es beim Tanz um das Johannifeuer oder bei den Maskenumzügen der Weihnachtszeit, da sangen sie alle, Männer wie Frauen, und ebenso zu den Hochzeiten.
Heute sind wir in Lettland stolz auf dieses gemeinsame Erbteil, unsere Kinder lernen die Volkslieder in der Schule, wir singen sie an den Festtagen … „
Amanda Aizpuriete, aus dem Lettischen von Horst Bernhardt (aus dem zitierten Buch)
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