Das Narrenschiff

Noch ein Gedicht aus der 1996 erschienenen Anthologie „Reich mir die steinerne Laute. Ukrainische Lyrik des 20. Jahrhunderts“ (herausgegeben von Jurij Andruchowytsch).

Oksana Sabuschko

(Geboren 1960)

DAS NARRENSCHIFF 
(Variation zu einem Thema von S. Brant)

Wie in Noahs Arche haben wir uns hineingedrängt in diese Zeit –
Henker und Opfer, Lügner und Schmeichler und solche, denen alles ganz gleich, 
sie keuchen und drängeln, blicken zornig zum Steuer, 
solange Windstille herrscht, gehen wir noch nicht auf Grund. 
Schwer geht das Schiff in alle vier Richtungen scheinbar, 
schaukelt es sehr, dann steh dem einem Gott, dem anderen derTeufel bei...
"Du, Mann über Bord, welche Nation, welcher Glaube?" 
Dann wird gestritten, ob zu retten sich lohnt...
Zieht es einen hinab, kann man den Sarg doch sparen...
/Sich noch mit Toten abzugeben, da den Lebendgen der Platz schon nicht reicht!/ 
Groß ist die Fracht, der Laderaum kann sie kaum fassen, 
die Wasserlinie hat schon das Deck erreicht!..
Ginge es doch nur voran! So viele Jahre ist es gegangen!
Man hört noch das Triebwerk wie einen schwachen Puls...
Wie mit Absicht sind verschwunden vom Deck die Propheten, 
wer sagt uns jetzt, wie man im Nebel den Kurs bestimmt? 
Schaukelt es heftig, hält man sich kaum auf den Beinen, 
gib acht, daß sie dich nicht über Bord stoßen, leise und ohne Kampf.
/Wie herrlich die Zeit, als man wußte, auf wen zu zielen, 
und jeder wußte, woher der Schlag zu erwarten war!/ 
Doch in der Bar wird getanzt, an Deck wird Ordnung geschaffen, 
das Orchester spielt, verschütteter Rotwein wird aufgewischt. –
Der Fliegende Holländer zieht vorüber schon wie viele Male, 
und tief unter uns spürt man unhörbar beben den Grund.

Deutsch von Anna-Halja Horbatsch, aus: Reich mir die steinerne Laute. Ukrainische Lyrik des 20. Jahrhunderts. Deutsch-Ukrainische Edition Lyrik. Auswahl und Einführung Jurij Andruchowycz. Reichelsheim: Brodina, 1996, S. 143

Оксана ЗАБУЖКО

КОРАБЕЛЬ ДУРНІВ 
(Варіація на тему С. Бранта)

Наче в Ноїв ковчег, нас упхалось в цей Час непомалу –
Кат і жертва, брехун і підбрехач, і той, кому – так, все одно, –
Всі пліч-о-пліч сопуть і усі норовлять до штурвалу, 
поки все таки штиль і покіль ще не йдемо на дно. 
Як ми трудно пливем на усі сторони на чотири!
Розгойдає – ну що ж: помагай кому Бог, кому чорт... 
Чоловіче за бортом, якої ти нації й віри? –
Розпитають, а потім розважать, – чи варт витягати на борт.. 
А як змило кого, то й таке: заощадимо труни 
/Бо ще й мертвих вози – он живим не стачає де жить!/ 
Ох, тяжкий той вантаж, що уже розпирає нам трюми, 
Що уже ватерлінія врівень з водою дрижить!..
Та вже б якось пливли – хіба ж стільки трималися років? –
Ще вібрує двигун, як нетвердо намацаний пульс...
Тільки з палуби все, як навмисне, змивало пророків –
Хто ж нам вкаже тепер, як лягти у тумані на курс?
А коли хитавиця, на двох таки важко стояти –
Ще й гляди не зіпхнули б – без шуму і без боротьби...
/Ех прекрасен був час, коли знаєш у кого стріляти, 
Коли знаєш, і звідки удару чекати тобі!/ 
...Але в барі танцюють, наводять на палубі глянець, 
Але грає оркестр, і змивають червоне вино –
І вже вкотре повз нас пропливає Летючий Голландець, 
І далеко під нами нечутно здригається дно...

Ebd. S. 142

Über die Autorin

Aufgrund ihrer Ausbildung ist O. Sabuschko als Philosophiedozentin tätig, darüber hinaus Dichterin, Kritikerin und Übersetzerin. Sie gilt als eine der aktivsten Persönlichkeiten im heutigen intellektuell-geistigen Leben der Ukraine. Sabuschko beeindruckt vor allem durch die Weite ihrer poetischen Gedankenwelt, die fast in paradoxer Weise mit einer echten femininen Leidenschaft verbunden ist. Alles, was sie zur Hand nimmt – in der Literatur, Philosophie, Publizistik – ist von starker Schaffenskraft gekennzeichnet.

Sie hat zwei Gedichtsammlungen herausgegeben: „Rauhreif im Mai“ (1985) und „Der Dirigent der letzten Kerze“ (1990). Aus diesem letzten Band stammt Das Narren Schiff. (ebd. S. 141)

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