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Von Jessenin las ich zuerst Gedichte in einem zweisprachigen Reclambuch. Die schwarzen von Reclam Leipzig. Ich besitze 3 Auflagen, die ich sammelte und verglich, die erste von 1965, die dritte veränderte und erweiterte von 1975 und die vierte von 1981, ebenfalls verändert und erweitert. Der Preis jeweils 2 Mark (DDR). Seitenumfang: 200, 242, 252 Seiten (die letzte in größerem Format und mit mehr Text auf die Seiten gepackt). Wie ich meine schnell wachsende Bibliothek durch die häufig wechselnden kleinen Wohnungen in Rostock, Rerik, Lühmannsdorf und Greifswald brachte, weiß ich kaum – es musste irgendwie gehen, in Kisten, auf dem Boden und unterm Bett. Als ich Student war, ergab es sich ein paar Jahre lang, dass ich zu den Weihnachtsferien dieses Buch mitnahm und wieder las, Russisch mit einem Seitenblick auf die deutschen Fassungen. Herausgeber Fritz Mierau wählte aus vorhandenen Übersetzungen (u.a. von Paul Celan, Adelheid Christoph und Elke Erb) und ließ neue von Rainer Kirsch und Adolf Endler schreiben. In den verschiedenen Ausgaben wurden Gedichte gestrichen und durch neue ersetzt sowie auch in einigen Fällen Übersetzungen bearbeitet. Das kurze Gedicht „Ebene, beschneite“ wurde von Rainer Kirsch übersetzt, in der ersten Auflage fehlte es noch. Es entstand im letzten Lebensjahr des Dichters. Heute vor 96 Jahren starb er in einem Hotel in Leningrad (St. Petersburg) durch Selbstmord.
Sergei Jessenin
(Сергей Александрович Есенин, wiss. Transliteration Sergej Aleksandrovič Esenin; * 21. September jul. / 3. Oktober 1895 greg. in Konstantinowo, Gouvernement Rjasan, Russisches Kaiserreich; † 28. Dezember 1925 in Leningrad)
Снежная равнина, белая луна, Саваном покрыта наша сторона. И берёзы в белом плачут по лесам. Кто погиб здесь? Умер? Уж не я ли сам? 1925 г.
Ebene, beschneite. Weißer Mond. Ein Leichentuch über den Feldern, dicht. In Weiß die Birken weinen im Wald. Wer kam um hier? Wer starb? Wars nicht ich?
Aus: Sergej Jessenin: Gedichte. Russisch und deutsch. Hrsg. Fritz Mierau. Leipzig: Reclam, 1981, S. 212f
Eine Übersetzung von Walter Fischer findet sich in der Ausgabe: Gesammelte Werke. Hrsg. von Leonhard Kossuth. Band 1: Gedichte. Berlin: Volk und Welt, 1995, S. 280
Schneebedeckte Weite, weiß des Mondes Schild, Heimatland von weißem Leichentuch verhüllt. Birken, weiß im Walde, weinen bitterlich. Wer ist hier gestorben? Bins am Ende ich? [1925]
Jessenin fasziniert mich seit ich in den 90er Jahren in Russland gelebt habe. Vielleicht ist dieser Beitrag auch interessant: Der heimatlose Heimatdichter: https://literaturplanetonline.com/2021/11/13/der-heimatlose-heimatdichter-the-homeless-homeland-poet/
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