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Veröffentlicht am 31. Mai 2021 von lyrikzeitung
Dagmar Nick (* 30. Mai 1926 in Breslau)
Zum gestrigen 95. Geburtstag von Dagmar Nick ein Gedicht aus ihrem ersten Gedichtband.
Die Überlebenden von Theresienstadt
Wir haben sie zerbrochen, ich und du.
Auch du. Warum willst du es nicht mehr wissen?
Wir alle haben schuld, daß sie zerrissen,
zermartert wurden, denn wir sahen zu.
Und schwiegen. Ich und du. Vergiß das nie!
Wir wandten uns von ihnen, kalt und träge,
und ließen sie die letzten, dunklen Wege
alleine gehn. Und dann verblaßten sie.
Sie starben uns. Doch nun verneinen wir
die schwere Schuld, die uns, nur uns gehörte,
da wir sie sehn, die nicht der Tod zerstörte,
sie, die ihn zwangen wie ein großes Tier.
Ihr Sein jedoch, das unerträgliche
Grauen verschüttet haben und zerkleinert,
lebt nur mehr leblos noch und wie versteinert
und bloß ihr Blick sagt das Unsägliche.
Aus: Dagmar Nick, Märtyrer. Gedichte. München: Drei Fichten, 1947, S. 12
Kategorie: Deutsch, DeutschlandSchlagworte: Dagmar Nick
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