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Aus Dirk Uwe Hansen: Sappho. Scherben – Skizzen
Frg. 1 Voigt
Unsterbliche Aphrodite auf dem bunten Thron Tochter des Zeus, listenreiche, ich bitte dich: nicht mit Sorgen und Kummer bedränge Herrin, mein Herz. Sondern komm her, wenn du schon einmal von anderswo mein Rufen gehört hast von fern, deines Vaters Haus verlassen, das goldene, und kamst; den Wagen hattest du angespannt, schöne Spatzen zogen dich über die schwarze Erde, flatterten heftig mit den Flügeln, vom Himmel herab durch die Mitte des Äthers kamen sie schnell. Du, Selige, lächeltest mit unsterblichem Antlitz und fragtest, was ich schon wieder habe, warum ich schon wieder rufe, und was ich mir am meisten wünsche, dass es geschehe, mit rasendem Herzen: „Welche soll ich überreden? ... in Freundschaft mit dir? Welche, Sappho, tut dir etwas Böses? Und wenn sie dich auch flieht, bald wird sie dich verfolgen, wenn sie deine Geschenke nicht nimmt, bald wird sie welche machen, wenn sie nicht liebt, wird sie bald lieben, auch wenn sie nicht will.“ Komm auch jetzt zu mir, aus der schweren Sorge erlöse mich, was auch immer mein Herz wünscht, dass es mir geschehe, vollende es, du selbst sei meine Kampfgenossin.
Alle Farben der Welt hast du, gerissene Tochter des Zeus, Aphrodite, auf deinem Thron, hast du auch früher schon vor dem Haus deines Vaters dem goldenen Wagen die Sperlinge vorge spannt und schwirrten im hohen Bogen, schnell kopfüber hinab zu mir. Und du mit deinem Göttergesicht: was ich schon wieder wollte, wolltest du wissen: „Wer ist es diesmal? Welche soll ich dir schenken?“ Das wärs, was ich mir wünsche: Komm! Bleib! an meiner Seite.
Aus: Sappho. Scherben – Skizzen. Übersetzungen und Nachdichtungen von Dirk Uwe Hansen. Potsdam: udo degener verlag, 2012
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