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Leseecke ist eine neue Rubrik, die sich der Veröffentlichung aller 154 Sonette Shakespeares in Günter Plessows Übersetzung und dem Originaltext (bei Signaturen) anschließt und hier Leseecke und Forum zur Diskussion über die Sonette und / oder Übersetzungen sein kann. Jedenfalls ich werde in den nächsten 154 Tagen mir jeden Tag eins der Sonette vornehmen und hier den Originaltext und von Fall zu Fall zusätzliches Material anbieten. Einladung zum Pendeln von Shakespeare zu Plessow und zurück (wenns sein muß auf Umwegen über Schlegel/Tieck, Bodenstedt, George, Kraus & Co). (Die Zahl neben dem Wort Leseecke ist die Nummer des Shakespearesonetts).
Sonette 1-7 bei Signaturen hier
Bisherige Folgen der Leseecke hier.
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THose howers that with gentle worke did frame, The louely gaze where euery eye doth dwell Will play the tirants to the very same, And that vnfaire which fairely doth excell: For neuer resting time leads Summer on, To hidious winter and confounds him there, Sap checkt with frost and lustie leau’s quite gon. Beauty ore-snow’d and barenes euery where, Then were not summers distillation left A liquid prisoner pent in walls of glasse, Beauties effect with beauty were bereft, Nor it nor noe remembrance what it was. But flowers distil’d though they with winter meete, Leese but their show, their substance still liues sweet.
Einige Anmerkungen zum Text:
1 howers hours (zweisilbig gesprochen)
4 vnfaire zum Verb gemachtes Adjektiv, Verneinung von to fair = schön machen fairely by being fair. Klaus Reichert übersetzt die Zeile in seiner Prosaübersetzung: „und das entschönen, was das Schöne übertrifft“.
6 confounds vernichtet
7 sap Saft leau’s leaves
8 ore-snow’d o(v)ersnowed
9 distillation Essenz
10 wäre mit der Schönheit auch die Wirkung der Schönheit verflogen
14 leese lose (verlieren)
Deutsche Fassung von Rudolf Alexander Schröder:
Dieselben Stunden, die so hold dein Bild Zur Augenlust geschmückt mit zartem Kleid, Sind bald tyrannisch wider dich gewillt, Unhold verkehrend die Holdseligkeit. Denn nimmermüde Zeit führt Sommers Blühn Zum eklen Winter fort in blinde Schmach: Frost hemmt den Saft, es welkt all frisches Grün, Die Schönheit liegt verschneit, die Welt liegt brach. Und bliebe nicht des Sommers Quintessenz, Ein flüssiger Häftling gläsernem Gewänd, Stürb aller Schönheit Sinn mit ihrem Lenz, Daß sich auch nicht ein Angedenken fänd. Nur Blumen-Aufguß wahrt zur Winterszeit Zwar nicht die Schau, doch Wesens Süßigkeit.
(Rudolf Alexander Schröder: Gesammelte Werke Bd.1, Suhrkamp 1952)
Kommentar zur Übersetzung:
Mit dem Wort hold im ersten Vers beginnt die „Poetisierung“ des Urtexts (im nächsten Vers mit „zartem Kleid“ fortgeführt). Man vergleiche seine vierte Zeile mit der in den Anmerkungen mitgeteilten Prosaübersetzung. (Am schönsten in dieser Übersetzung scheint mir das Wort Augenlust für „the lovely gaze“ – leider sogleich ins Poesiesurrogat zurückgeholt.) Ich glaube, mit einer guten Prosaübersetzung wie der Klaus Reicherts wäre dem auf Shakespeares Innovation der poetischen Sprache neugierigen deutschen Leser mehr gedient.
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