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Birgit Kreipe bildet in ihren Annäherungen die auf Gefäßscherben fragmentarisch überlieferten Verse nach (S. 87). Angelika Janz (S. 89) brilliert mit ihrer Interpretation, indem sie Vorgefundenes ergänzt und damit einer Deutung unterwirft. Kerstin Becker weiß in ihrer dichterischen Antwort auf das Fragment 31 mit einer schönen Zeile zu überraschen: die Zunge stirbt mir im Gehäuse. (S. 46) Eine Besonderheit stellen die beiden Pioniere einer feministisch grundierten Sappho-Rezeption in den 60/70er Jahren des 20. Jahrhunderts, Marylin Hacker und Joan Larkin, dar. Hackers Replik auf eine Mädchenliebe in Fragment 31 findet sich gleich in zweifacher Übersetzung, was Bedeutungs- und Sinnverschiebungen im Prozeß der Übertragung nachvollziehbar macht. (S. 42/43) Hackers Verse dabei frech, zeitgenössisch und nie frivol. Bertram Reinecke geht in seinem Ansatz spielerisch mit der rezeptiven Wahrnehmung Sapphos in der jüngeren Kulturgeschichte um und macht die Mechanismen sichtbar, die den Moden resp. dem Zeitgeist zugrundeliegen, was in der Folge mit der Überlieferung geschieht, aus ihr herausgelöst, weitergetragen, verändert wird. (S. 82/83). Als Kür kann die Abteilung „Alles wird Mond“ betrachtet werden, in der freie Variationen und Interpretationen zu Sapphos wohl bekanntestem Gedicht versammelt sind. In etlichen der Stücke kommt das Gestirn als eines zur Sprache, das entschwunden oder noch nicht aufgegangen ist, das fehlt. Und damit ist gleichsam von ihm als einer Metapher die Rede, die schon des längeren in der deutschsprachigen Dichtung als unzeitgemäß erachtet wird, doch hier in einer spielerischen wie auch (selbst-) ironischen Näherung und Brechung Substanz zurückerhält. Brigitte Struzyk hat die Rückseite des Mondes bemalt, sieht die Verwandlungen, die dessen Licht zeitigt, sich im Traum vollziehen. Marianne Lanz fragt: brauchen wir überhaupt einen/ wir versuchen es mit lampen luxus plänen. Michael Gratz führt spielerisch vor, was herauskommen kann, wenn die Verse mittels der Stillen Post die Filter mannigfacher Übertragung passieren – im Ergebnis ein polyglottes Intermezzo. Und daß in diesem Zusammenhang auch ein Prozeß von Be- und Umschreibungen statthat (seit wann ist eigentlich die Verwendung dieser Begrifflichkeiten in Bezug auf die mündliche Entäußerung nachweisbar?). Martin Piekar weist in seiner Sapphoesie der Dichterin ihren Ort irgendwo zwischen Voll- und Sichelmond zu und Marcus Roloff variiert Sapphos Verse gleich in vier vierzeiligen Nachtgedichten, hier das erste: abgang mond, das/ siebengestirn inkl. 24 h./ alles fließt, aber/ ich liege. / Jayne-Ann Igel, Signaturen
Muse, die zehnte. Antworten auf Sappho von Mytilene. Hrsg. von Michael Gratz und Dirk Uwe Hansen. Dt./altgriech. Greifswald (freiraum-verlag) 2014. 150 Seiten. 14,95 Euro.
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