28. DIE UNVERZICHTBARKEIT DER ZEITSCHRIFT

MICHAEL  BRAUN

Laudatio auf Andreas Heidtmann und den POET, anlässlich der Verleihung des Calwer Hermann-Hesse-Preises

In Wahrheit sind solche Zeitschriftenmenschen nur noch Randfiguren des literarischen Betriebs, literaturverrückte Einzelgänger und Sturköpfe, die sich von mageren Renditen nicht von ihrer Leidenschaft für die Literatur abbringen lassen und sich einen hartnäckigen Entdeckerehrgeiz für literarische Begabungen und vergessene Texte bewahrt haben. Zeitschriftenmacher wie Andreas Heidtmann aus Leipzig – das sind die letzten Abenteurer des Geistes, unterwegs nicht nur auf allen Kontinenten der Weltliteratur, sondern auch in den Winkeln der Provinz, um dort die unentdeckten Talente der Gegenwartsdichtung aufzuspüren. Andreas Heidtmann, der heute für sein Literaturmagazin POET mit dem Hermann-Hesse-Preis der Stadt Calw ausgezeichnet wird, hat seit 2005 gleich zwei literarische Horchposten errichtet, die zur Verbesserung unserer literarischen Infrastruktur beigetragen haben: Er hat mit dem „Poetenladen“ im Internet eine gut besuchte Plattform für Gegenwartsliteratur geschaffen, die einen im Getümmel der Newcomer, Novizen und ambitionierten Talente einen verlässlichen Überblick liefert. Und er hat 2007 mit dem Literaturmagazin POET eine Zeitschrift  gegründet, die auf jeweils rund 200 Seiten den allerjüngsten Metamorphosen der vielversprechenden Jungen Literatur auf sehr inspirierte Weise nachspürt.

Lesen Sie hier Michael Brauns Rede im Wortlaut

Verehrte Gastgeber von der Hermann-Hesse-Stiftung, sehr geehrter Herr Staatssekretär, meine Damen und Herren, lieber Andreas Heidtmann,

was die Produktion von Selbstbewusstsein betrifft, können Zeitschriftenmacher viel von den Romantikern lernen. Friedrich und Wilhelm Schlegel, zwei der fleißigsten Exponenten des romantischen Geistes, haben vor rund 200 Jahren, genauer: im Jahr 1797, allen Ernstes verkündet, sie strebten mit der Gründung der Zeitschrift „Athenäum“ unbescheidenerweise nach dem totalen literarischen Umsturz. „Ein großer Vortheil dieses Unternehmens“, so erklärte Friedrich Schlegel mit gewaltigem Stolz zur Gründung seines Blattes, „würde wohl seyn, dass wir uns eine große Autorität in der Kritik machen, hinreichend, um nach 5-10 Jahren kritische Dictatoren Deutschlands zu seyn….“

Mit einer Literaturzeitschrift als „kritischer Dictator Deutschlands“ in Erscheinung treten zu wollen – wer mit solchen vollmundigen Erklärungen heute an die Öffentlichkeit träte, würde umgehend für seinen Größenwahn abgestraft.  Es gibt keine Schaltzentrale des Literaturbetriebs mehr, in der diktatorische Beschlüsse gefasst und umgesetzt werden könnten. Es gibt auch – und das ist eine neuere Entwicklung – keine Literaturzeitschriften mit kanonischer Wirkungskraft mehr,  die – wie früher die „Akzente“ oder heute mitunter noch „Sinn und Form“ – die Aufmerksamkeit der literarischen Öffentlichkeit bündeln könnten. Es gibt nur noch heterogene, partikulare Kräfte in einem kaum überschaubaren Feld kleiner und mittlerer Magazine, die neue Autoren und Schreibweisen in das schrumpfende Segment der Zeitschriftenleser implementieren möchten.

Auch als Gesetzgeber von Sprache und Literatur, wie ihn die romantische Größenphantasie sieht,  wird man den Zeitschriftenmacher heute nicht mehr sehen wollen. Wer Literaturzeitschriften herausgibt und redigiert, der träumt allenfalls heimlich davon, sich als Gesetzgeber und Diktator ins Zentrum des Literaturbetriebs zu katapultieren.

In Wahrheit sind solche Zeitschriftenmenschen nur noch Randfiguren des literarischen Betriebs, literaturverrückte Einzelgänger und Sturköpfe, die sich von mageren Renditen nicht von ihrer Leidenschaft für die Literatur abbringen lassen und sich einen hartnäckigen Entdeckerehrgeiz für literarische Begabungen und vergessene Texte bewahrt haben. Zeitschriftenmacher wie Andreas Heidtmann aus Leipzig – das sind die letzten Abenteurer des Geistes, unterwegs nicht nur auf allen Kontinenten der Weltliteratur, sondern auch in den Winkeln der Provinz, um dort die unentdeckten Talente der Gegenwartsdichtung aufzuspüren. Andreas Heidtmann, der heute für sein Literaturmagazin POET mit dem Hermann-Hesse-Preis der Stadt Calw ausgezeichnet wird, hat seit 2005 gleich zwei literarische Horchposten errichtet, die zur Verbesserung unserer literarischen Infrastruktur beigetragen haben: Er hat mit dem „Poetenladen“ im Internet eine gut besuchte Plattform für Gegenwartsliteratur geschaffen, die einen im Getümmel der Newcomer, Novizen und ambitionierten Talente einen verlässlichen Überblick liefert. Und er hat 2007 mit dem Literaturmagazin POET eine Zeitschrift  gegründet, die auf jeweils rund 200 Seiten den allerjüngsten Metamorphosen der vielversprechenden Jungen Literatur auf sehr inspirierte Weise nachspürt…

Andreas Heidtmann, 1961 in Wesel am Niederrhein geboren, ist nicht nur ein passionierter Zeitschrifteneditor und Portalbetreiber, sondern selbst Schriftsteller, Komponist und Musiker. An der Musikhochschule in Köln hat er seine Fertigkeiten als Pianist verfeinert,  dazu hat er Germanistik und Philosophie studiert. 2005 veröffentlichte er im Athena Verlag einundzwanzig Geschichten, die „Storys aus dem Baguette“. 2005 ist auch das Jahr, in dem Andreas Heidtmann mit der Gründung des digitalen „Poetenladens“ die literarische Welt verändert hat.

Online-Portale für Literatur, das zeigt die Erfahrung der letzten Jahre, sind nicht per se ein Segen für die  Menschheit. Im Gegenteil: Sehr oft erteilen sich diese digitalen Plattformen die Lizenz für eine uferlose Textproduktion, ohne die ins Netz geschleusten Gebilde auf  ihre Substanz hin zu prüfen. Es gibt ja die hinreißend naive Vorstellung unter sogenannten Bloggern, dass allein schon die wilde Meinungszirkulation im Netz einen Erkenntnisgewinn produziere. Die triste Wirklichkeit ist eher ein potenzierter Dilettantismus. Denn publizieren im Netz kann jeder – aber der rein quantitative Literaturbegriff in der sogenannten „Blogosphäre“ schärft nicht die ästhetische Sensibilität, sondern vermehrt nur literarischen Trash. Es sich schon so mancher Literaturportalbetreiber zum großen Strategen im Literaturkampf stilisiert – und hat doch nur dünnflüssige Ansichten in die Welt getragen.

Was macht nun Andreas Heidtmann besser als seine Konkurrenten von anderen Portalen? Und was muss man sich überhaupt unter einem „Poetenladen“ vorstellen? Ist das einfach nur ein Umschlagplatz für literarische Produkte aller Art , ein besonders gutes Sortiment an Gedichten, Prosatexten, Rezensionen, Essays und Statements, das von einem Herrn mittleren Alters an der digitalen Ladentheke feilgeboten wird? Und funktioniert dieser Laden nach dem Prinzip des Supermarkts, dem die ästhetischen Wertigkeiten und Differenzen zwischen den Texten Jacke wie Hose sind?

Andreas Heidtmanns „Poetenladen“ – und das ist das Erfolgsgeheimnis – bietet alles, was zu den Grundvoraussetzungen eines guten Literaturportals gehört: Archivierungs-Kompetenz, Lesbarkeit und die Fähigkeit zur Erzeugung literarischer Spannungszonen. Sein Sprachspeicher aus Gedichten, Erzählungen, biografischen Informationen, poetologischen und literaturkritischen Diskursen ist zur beliebtesten digitalen Plattform des literarischen Lebens geworden. Die beteiligten Autoren werden in einer Auswahl  exemplarischer Texte und teilweise auch in Rezensionen vorgestellt. Hinzu kommen Marksteine für die literarische Auseinandersetzung: Ich verweise an dieser Stelle auf die „Lyrik-Konferenz“, in der sich Dichter der jüngeren Generation nicht etwa autistische Hahnenkämpfe liefern, sondern einen literarischen Resonanzraum eröffnen: durch ebenso fundamentale wie fundierte Thesen zum Verhältnis von Poesie und Politik, Sprache und Macht, Wort und Welt.

Das Magazin POET wiederum präsentiert nicht  bloß Repetitionen der „Poetenladen“-Texte in Print-Form, sondern hat eine eigenständige, eigensinnige Struktur entwickelt. Gedichte und Prosatexte von prominenten und von unbekannten Autoren werden in überraschenden Konstellationen miteinander konfrontiert. Hinzu kommen sehr lehrreiche Gespräche mit Schriftstellern, in denen die Grundrisse ihrer Poetik entwickelt sind. Auch unterläuft Andreas Heidtmann bewusst die stupiden Abgrenzungen zwischen der Literatur der angeblich etablierten älteren Autorengeneration und der seit einiger Zeit kultisch umraunten „Jungen Literatur“. Gedichte von Ulrike Almut Sandig oder Nora Bossong finden im POET ebenso einen legitimen Platz wie Standortbestimmungen  von Dagmar Nick,  Friederike Mayröcker und Reiner Kunze. Selbst ein ziemlich querköpfiger Sozialist wie Gerhard Zwerenz, der mit seinen manchmal kolportage­haften Romanen bereits in der DDR der 1950er Jahre sofort den Zorn der Mächtigen provozierte, taucht regelmäßig im „Poetenladen“ und im POET auf. In einem Editorial zur Nummer 3 von POET hat Andreas Heidtmann eine überraschend eindeutige Präferenz formuliert: Zwar lebt sein Unternehmen von der „Synergie“ der alten Kulturtechnik Zeitschrift und der neuen Kulturtechnik Internet, aber seine Sympathien gehören doch eindeutig der Verlässlichkeit der alten Formen Buch und Zeitschrift. „So wichtig das Netz ist“, heißt es da, „so unverzichtbar bleibt der unmittelbare Austausch, das Literatur(er)leben. Das kann, will und wird das Internet nicht ersetzen können. Als Informationsquelle …ist es ein Gewinn. Es intensiviert die Kommunikation und lässt die Dichtung  zu einem poetologischen Gespräch in Permanenz werden. Längst weiß man, ehe der nächste Gedichtband dieses oder jenes Dichters erscheint, was einen erwartet, da man es auszugsweise im Netz gelesen hat. Aber wir wollen mehr – das unverzichtbare Buch.“

Wir sehen also: Der POET ist nicht das blasse Abbild seines digitalen Bruders, des „Poetenladens“, sondern ein überaus lebendiges, glücklicherweise ästhetisch unberechenbares Literaturmagazin, das vor allem die literarische Diskussion in der jüngeren Autorengeneration ungemein beflügelt hat. In einem Interview hat Andreas Heidtmann einmal von den Gefahren allzu großen Erfolgs gewarnt: „Ich überlege noch, wie ich Bill Gates davon überzeugen kann, dass es sich lohnt, dem poetenladen unter die Arme zu greifen. Aber leider wäre der poetenladen dann nicht mehr der poetenladen, sondern eine sorgenfreie Literaturinstitution. Sobald man geworden ist, was man wünschte zu sein, verliert man wohl den Enthusiasmus.“ So viel Misstrauen gegenüber der Sorgenfreiheit und gegenüber den Verlockungen des Erfolgs ehrt Sie, lieber Andreas Heidtmann.  Den Hermann-Hesse-Preis freilich, zu dem ich Ihnen herzlich gratuliere, sollten Sie nicht als Enthusiasmus-Bremse, sondern als Ermutigung verstehen.

8 Comments on “28. DIE UNVERZICHTBARKEIT DER ZEITSCHRIFT

  1. Pingback: 42. Statistik « Lyrikzeitung & Poetry News

    • das weiß ich nicht, aber ich frage mich, welchen Wert Kommentare haben sollten, die sich unter dem Namen „Das Hemd“ verstecken. Verdammt noch mal, sagt was oder haltets Maul!

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  2. ich meinte nicht sprachzahm, sondern Sprach-Scham. Dir fliesst wohl auch „das be-inhaltete meine Frage nicht“ wie Öl von der Zunge! „unverzichtbar“ ist schon fragwürdig, „Unverzichtbarkeit“ tut dem Ohr weh.

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  4. Pingback: Verleihung des Calwer Hermann-Hesse-Preises an die Zeitschrift POET | planet lyrik @ planetlyrik.de

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