146. Spiegel und…

François Villon? Die Kopplung ist mir neu, aber Nerds können alles:

„Spiegel Online“ – wie gerne wären die Jungs und Mädels aus Hamburg die Köpfe hinter dem anspruchsvollen Leitmedium der aktuellen Generation. Doch leider zieht einfach mal Nonsens mehr als Anspruch und der Boulevard ist halt doch wesentlich näher an uns Menschen dran als französische Lyrik des 15. Jahrhunderts!

/ schreibt irgendsoein egoBlog. Den Teufel spürt das Völkchen nie. Nicht den Teufel Havemann meine ich jetzt, sondern ihn, der ihr Urteil sprach:

Man schlage ihnen ihre Fressen
mit schweren Eisenhämmern ein.
Im übrigen will ich vergessen
und bitte Gott, mir zu verzeihn.

(K.L. Ammers Villon, von Brecht beerbt)

Und auch in Punkto Nonsens ist der französische Dichter des 15.. Jahrhunderts nicht leicht zu schlagen:

Schufft euch durch Strombart über Glentz,
Sonst menkelt gartes Lechem ihr,
Ohn‘ Stefung hockt im Brix ihr hier.
Nur linkes Rusch dippt euch der Sentz,
Verkneistet, seid loo zikuß mir,
Beim Hochsentz dolft der Reppler sonst bereit.
Genf nopel Meß im Dorf, Bescheid,
Und troll dich aus der Gleicherey
Der Breger, Stromer weit und breit!
Tut einhar vor der Prinzerey!

François Villon, ins deutsche Rotwelsch übersetzt von Martin Löpelmann

Wörtlich übersetzt: Packt euch durch den Wald, über Feld / sonst eßt ihr hartes Brot / nur faules Stroh gibt euch der Herr / versteht, seid mir nicht blind / beim großen Herrn steht sonst schon der Henker / stiehl ungern Geld im Dorf, Spitzbube / und troll dich aus der Gesellschaft / der Bettler und Landstreicher weit und breit / „macht einen Floh“ (= flieht) vorm Hochgericht.

Was heißt schon Nonsens? Sowas könnte der besagte Spiegel glatt für eine Reportage über Hausbesetzer in Berlin verwenden (die bekanntlich, Spiegelleser wissen mehr, Autos anzünden).

Löpelmann schreibt: „Es ist wohl hier überhaupt das einzige Mal in  der Weltliteratur der Versuch gemacht worden, eine Verbrechersprache für eine Kunstform zu verwenden.“ (Villon, Dichtungen, München o.J. S. 227) Nun: Löpelmann konnte die neuere deutsche Dichtung nicht kennen. Urs Engeler hat Bücher von zwei Autoren verlegt, die dies tun: Bert Papenfuß und Ulf Stolterfoht.

Villons Originaltext:

Plantés aux hurmes voz picons
De paour des bisans si très durs
Et aussi d'estre sur les joncs
Emmahés en coffres en gros murs.
Escharicés, ne soiés point durs
Que le grand Can ne vous face essorer.
Songears ne soiés pour dorer,
Et babignés tousjours aux ys
Des sires pour les desbouser.
Eschec, eschec pour le fardis.

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