71. Klangraum Lyrik in Eßlingen

Vier hochkarätige Lyriker, ein Weltklasse-Jazzpianist und eine Ausstellung unterschiedlichster künstlerischer Positionen – die Villa Merkel verwandelte sich anlässlich der Literaturtage LesART in den „Klangraum Lyrik“. Und der forderte von den Besuchern die Bereitschaft, sich offen und neugierig auf eine aufregende Inszenierung einzulassen.

Keiner hört das Gleiche, denn jeder Dichter liest vier Mal, und die Lyrik-Freunde ziehen in Gruppen von Raum zu Raum, von Kurzlesung zu Kurzlesung. Ein Zug fährt vorbei, das Tatütata eines Einsatzfahrzeugs dringt von draußen herein, irgendwoher klingt leise Musik. Wer genau hinhört – und das tun an diesem Abend alle -, spürt, dass die Lesungen synchron sind, hört, dass sich die Stimmen der Dichter überlagern. …

Ulf Stolterfoht liest aus seinem Großzyklus „Holzrauch über Heslach“ eine Passage über die Rolle der Musik in der Stuttgarter Arbeitersiedlung. Er ist ein Sprachnarr, ein Sprachartist, liest mit weicher, dunkel getönter Stimme. Mit analytischem Blick und eigenwilliger Ironie schafft er rhythmische Assoziationen – und manchmal, es scheint fast absichtslos, reimt es sich auch. Saskia Fischer baut Spannung auf zwischen ihrer lakonischen Art, mit leicht rauer, sehr melodiöser Stimme zu lesen, und ihren Themen, die den Kontrapunkt setzen: die übergroßen Gefühle und die klitzekleinen Dinge des Alltags, wo wieder mal das Barometer auf „Scharmützelwetter“ steht. Die täglichen Balgereien, Kämpfe und Schlachten können auch verloren gehen: Niederlagen sind unvermeidlich.

Wenn Steffen Popp seine „Meergedichte“ liest, dann ist das, als ob er nicht mehr nur schreibt, sondern schon zeichnet, Skizzen entwirft für Bilder. Man kann sich von seinen ebenso vitalen wie lyrischen Formulierungen mitziehen lassen, sich durchströmen lassen. Das kann sehr romantisch anklingen, wenn das Bild des sehnsuchtsvollen Ortes aus dem Nebel auftaucht.

Jan Wagners Texte sind elegant und virtuos. Mit angenehm warmer Stimme liest er aus einem abgegriffenen Exemplar. „In Tupfern von Weiß die Wolken“ – gern beginnt er ganz harmlos, wird dann ein bisschen schräg, um schlussendlich den Hörer abgrundtief hinabzustürzen. Hochartistisch baut er die im Barock so beliebte Sestine nach, sechs Strophen, sechs Zeilen, sechs Schlüsselwörter: „Das ist, als würden Sie sich selbst einmauern: Auch der letzte Stein muss passen.“ / Gaby Weiß, Eßlinger Zeitung 16.11.

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