Selbsteinschätzung des Sängers

Rudolf Prietze sammelte um 1904 in Nordafrika Lieder der Haussa (Hausa) und ließ sie sich später in Tunis und Kairo von zugewanderten Hausa und Zöglingen der Azhar-Moschee Wort für Wort erklären. Es sind Erzeugnisse fahrender Dichter-Sänger, zábia (Plural) genannt ein stets weibliches Wort, obwohl diese zábibioï meist Männer sind. Dieser „selbstdichtende Sänger“, in unserer Sprache Liedermacher, zieht mit einem Gefolge von Musikern und „Jüngern“, er wird auf Lebenszeit gewählt. In diesen Ländern, Prietze nennt sie zeittypisch Länder niederer Kultur, ist der Sänger unentbehrlich und bringt nicht nur Lust, sondern trägt und erschafft zugleich die öffentliche Meinung wie in Europa die Presse.

Das heutige Lied stammt von dem Sänger Danuma, er nannte seinen Liederstrauß „Lieder des Papageien“. Die Fahrenden reiten zur nächsten Stadt, trommeln die Menschen zusammen und tragen sie vor, während Leute aus dem Gefolge Spenden einsammeln. Die Lieder sind nicht improvisiert, sondern gut vorbereitet und aufgezeichnet, werden aber durch Einschiebsel und Umformungen aktualisiert. Der Dialekt stammt aus der Provinz Kano in Nigeria. Prietze gibt die Lieder in seiner Transkription mit Wort-für-Wort-Übersetzung, hier in der Grafik, und seiner Nachdichtung, hier darunter.

I.

Dies ist das Lied eines Vogels, der sich Papagei nennt.

1.

Selbsteinschätzung des Sängers: Während anderes dem Bedarf leicht zur Verfügung steht, ist er, der Papagei, nur langsam und schwer zu gewinnen, ja bleibt für manchen wegen seiner bösen Zunge ein Schrecknis.


1 Das Stroh ist Futter für die Kuh, 
Heufutter kommt der Stute zu, 

2 Mehlschleim mit Natron der Wöchnerin; 
wenn nicht dem Säugling zum Gewinn, 
trinkt sie dem schwachen Leib zu lieb.

3 Ich, Vogel der Reichen, ich Papagei, 
bin Krugbrei, den man nur löffelnd erlangt.

4 Kwaras Bruder ist Brei auf des Köchers Grund:
ihn wird nur essen der Pfeilspitze Mund.

5 Kwaras Bruder ist Leichenwaschwasser:
kein Mensch trinkt auch nur einen Schluck davon. 

6 Ich, Kwaras Bruder, bin Kraut vom Tabak,
davon kein Pferd etwas fressen mag.

Der Herausgeber erläutert zur 3. Strophe: „Das Bild will sagen: Meine Gunst ist nur durch fortgesetztes Werben, durch unablässige Freigiebigkeit zu erlangen.“

Aus: Rudolf Prietze: Haussa-Sänger I.Nachrichten von der K. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Philologisch-historische Klasse. 1916, S. 182ff

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