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Ein Jahr der runden Jubiläen. Heute vor 500 Jahren starb Sebastian Brant. Dafür ein Stück aus seinem Narrenschiff.
Sebastian Brant (oder Brandt, geboren 1457 oder 1458 in Straßburg; gestorben 10. Mai 1521 ebenda)
XCI.
[172] Im Chor* gar mancher Narr auch steht,
Der unnütz schwätzt und hilft und räth,
Deß Wagen und Schiff vom Land bald geht.
Fünf geistliche Herren gemüthlich schwatzend neben einem Leiterwagen; am Gestade ein Schiff.
Vom Schwätzen im Chor.
Viel Schwätzer rathen durch das Jahr
In Kirche und in Chor fürwahr,
Wie sie zurichten Schiff und Karren
Um drin gen Narragon zu fahren;
Dort spricht man von dem wälschen Kriege,
Hier lugt man, daß man tüchtig lüge
Und etwas Neues bring‘ zur Bahn.
So wird die Mett‘ gefangen an,
So geht’s oft bis die Vesper schlägt.
Viel kommen nur von Geiz bewegt
Und weil man Geld gibt** in dem Chor,
Sonst blieben fern sie nach wie vor.
Es wär‘ auch Manchem gut fürwahr,
Er blieb daheim das ganze Jahr
Oder nähm‘ zum Gänsemarkt den Lauf
Und schlüg‘ die Klapperbank*** dort auf,
Als daß er in der Kirche will
Sich irren und noch andre viel.
Was er sonst nicht verrichten kann,
Das schlägt er in der Kirche an,
Wie er ausrüste Schiff und Geschirr,
Und bringt viel neue Mär‘ herfür,
Hat großen Fleiß und ernste Geberd‘,
Damit das Schiff nicht wendig† werd‘;[173]
Er ging gern aus dem Chor spazieren,
Daß er den Wagen recht möcht schmieren.
Von denen darf ich gar nicht drucken,
Die in den Chor nur grade gucken
Und zeigen sich zum Präsentiren
Und suchen wieder bald die Thüren.
Das scheint Gebet andächtig und gut,
Wenn man solche Dinge verrichten thut
Und Pfründen zu verdienen wähnt,
Wenn man dem Roraffen zugähnt.
Aus: Brant, Sebastian: Das Narrenschiff. Leipzig [1877], S. 172-174.
Kommentare aus der Neuausgabe 2006:
*) Im Chor der Kirche waren die Sitze der Geistlichen.
**) Gemeint ist wohl die Auszahlung von Pfründen (Präsenzgeldern).
***) klapper benckly und genßmerckt sind volkstümliche Wendungen, die das Schwatzen und Schnattern kennzeichnen.
†} D. h. nicht aufgehalten werde und umkehre.
††) Eine bewegliche, komische Figur, die sich unter der Orgel im Straßburger Münster befand und als Wahrzeichen der Stadt galt. Der Name hängt zusammen mit nd, rôren – brüllen, plärren.
Hier bei Zeno.org
Aktuelle Ausgabe, durchgesehen und kommentiert: Sebastian Brant. Das Narrenschiff. Übertragen von H. A. Junghans. Durchgesehen und mit Anmerkungen sowie einem Nachwort herausgegeben von Hans-Dieter Mähl. Stuttgart: Reclam, 2006 und öfter
Das narren schyff .
X C I . von schwetzē jm chor .
Im chor gar mancher nar ouch statt
Der vnnütz schwetzt / vnd hilfft / vnd ratt
Das schiff vnd wag / von land bald gat
von schwetzē jm chor.
Vil standt jnn kirchen / vnd jm chor
Die schwetzen / rotten durch das jor
Wie sye zůrichten schiff / vnd karr
Das man gon Narragonyen far
Do seyt man von dem welschen krieg
Do lůgt man / das man redlich lieg
Vnd ettwas nüws bring vff die ban
Als wurt die mettin gefangen an
Vnd wert dick zů der vesper zyt
Vil kæmen nit / tryb nit der gydt
Vnd das man gelt geb jn dem chor
Sunst weren sy on die kirch vil jor
Es wer besser vnd weger eym
Er blyb gantz über all do heym
Vnd richt das klapper benckly zů
Vnd synen genßmerckt anderßwo
Dann das er jnn der kyrchen will
Sich jrren / vnd sunst ander vil
Was mancher nit vßrichten kan
Das schlecht er jn der kyrchen an
Wie er vffrüst schyff vnd geschyr
Vnd bring vil nüwer mer har für
Vnd hat groß flyß / vnd ernstlich geberd
Do mit das schyff nit wendig werd
Er ging ee vß dem chor spatzieren
Das er den wagen recht mœcht schmirē
Aber von den dar ich nit drucken
Die jnn den chor alleyn důnt gucken
Vnd zeygen sich mitt presentieren
Treffen doch bald wyder die tűren
Das ist andechtig gebett / vnd gůt
Do man sollich ding vßrichten thůt
Do werden pfründen wol verdient
So man dem roraffen zů gyent
Quelle des Originaltexts und der Grafik:: Bibliotheca Augustana
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