Reimspiel

Konrad Weiß

(* 1. Mai 1880 in Rauhenbretzingen bei Schwäbisch Hall; † 4. Januar 1940 in München)

Aus der unvollendeten Dichtung „Largiris“

49

O Sonne,         Orte, die in mich vertrauen,         will
umfangen,        will ich ganz in Ehrfurcht bauen,    still
ihr Dunkel,      daß sie rein als Schmuck zu schauen, ich
vergangen,       Wesen sind, die Erde kauen,          mich.

Wer spricht so:  Immer soll Verwandlung dienen,       fort
in Hoffnung,     nicht Gesetze, Ringe, – Bienen,      Wort
um Wort, so      sind durchs Flugloch eingeschienen,  spricht,
der schaut und   sonnenselig Aug' und Mienen          bricht?

Und bricht so    Nun ich Schale, nun ich Härte,       Glanz
zerbrochen,      eingebrochen, weil ich werde,        ganz
vom Wuchse       ledig wachsend durch Beschwerde      bin
verkehrt ich,    bin ich Furche, Licht der Erde,      Sinn.

Aus: Konrad Weiß, Gedichte. Zweiter Teil. München: Hegner-Bücherei im Kösel-Verlag, 1949, S. 269

Eine Anmerkung zu den Teilen 48-50 des Zyklus besagt: „Sinn- und Reimspiele in aufgebrochenen Verszeilen“ (a.a.O. S. 303).

Man kann den Mittelblock als selbständiges Gedicht in trochäischem Versmaß mit Vierfachreim lesen. Liest man über die Blockgrenzen hinweg, ergibt sich ein anderes Gedicht mit anderen grammatischen Zusammenhängen, jambisch paargereimt. Man kann auch versuchsweise die kurzen Blöcke links und rechts als Gedicht lesen, die Reim- und Halbreimbindung der ersten beiden linken „Strophen“ legt es nahe, und selbst der Ein-Wort-Block rechts lässt sich dann als Gedicht lesen. Ich glaube, das geht – und ist reizvoll – auch ohne den vielleicht christlichen, katholischen Sinnzusammenhang des ganzen Zyklus.

Das Gedicht erinnert mich von der Bauart an die „embedded poems“, eingebetteten Gedichte des russisch-amerikanischen Dichters Philipp Nikolayev.

Ich bitte um Entschuldigung für die Unbequemlichkeit, dass dieses Gedichtspiel auf schmalen Smartphonebildschirmen nicht gut dargestellt werden kann – vielleicht hilft es, das Gerät zu drehen.

Vielleicht eine Anregung: Ich fand auch reiz- und sinnvoll, die Außenblöcke zusammenzulesen:

O Sonne, will
umfangen, still
ihr Dunkel, ich
vergangen, mich.

Wer spricht so: fort
in Hoffnung, Wort
um Wort, so spricht,
der schaut und bricht?

Und bricht so Glanz
zerbrochen, ganz
vom Wuchse bin
verkehrt ich, Sinn.

Was für ein ganz anderes Gedicht der bloße Rhythmus herzaubert! Und bedeutet es etwa nichts?

Jedenfalls eine Einladung zum spielenden Lesen.

Kommentar verfassen

Bitte logge dich mit einer dieser Methoden ein, um deinen Kommentar zu veröffentlichen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..

%d Bloggern gefällt das: