„Höllerer, wo ist dein Sieg?“

Klaus M. Rarisch

(* 17. Januar 1936 in Berlin; † 20. Juli 2016 ebendort)

DEUTSCHER LENZ IN CEFALU

Brände brechen aus in mir,
grelle Kastagnetten knallen
hinter Adern her und hallen
allmetallisch Gischt hoch Gier.

Durch Aortapforten schweigt
Mumienmulm der Urboviste;
fahnenfarb das Ungehisste
ist, isst Credokrebse, steigt

auf die Alm und sündigt nicht.
Da verhungern Beicht und Stühle,
Stuhlgang weicht im Lenzgefühle,
Milzschmalz schmilzt im milden Licht.

Wenn verbrannt der ganze Schnee,
hört der kleine Mann im Ohre
wachsen Grass und Mon im Chore –
Scheibenschuss aufs ABC !

Lirum larlim Löffelholz,
junge Männer dichten ältlich,
junge Frauen lieben kältlich,
alle haben ihren Stolz

und drumrum ein dickes Fell.
Fuchs, du hast den Schnaps gestohlen.
Kohlenklau Schnell wird dich holen,
Teufels Mühlen mahlen schnell.

Grave, Aigu und Circonflexe
und die anderen Akzente:
wenn man, wie man wollte, könnte,
böt man mehr und schärfren Sex.

Weltrekord in Selbstkritik,
triebe-liebe kleingeschrieben –
die Bilanz seit Vierzigsieben:
Höllerer, wo ist dein Sieg?

Zart im Pubertête-à-tête
schläft als geistiges Vermächtnis
das Hormon bei dem Gedächtnis,
bis der Gollgroll dreimal kräht.

Golgatha im clair-obscur
schwarz auf weiss nach Hause tragen,
Meister Tod aus Deutschland fragen:
wo wächst poésie plus pure?

Heiliger Monsier Sans-Gêne,
du, den alle Diebe kennen,
Schwule mit Verehrung nennen,
sei uns Simpeln starker Knän!

Quasimodo läutet Blech:
hot and hotter stampft der rhythm, hej!
Kommu- swingt mit Christianism, hej!
Und Nobels Geschoss trifft frech.

Preist bis Poesie krepiert,
lyrische Kongresse incl.,
grosse Fresse, Glück im Winkel,
oft kopiert und nie kastriert:

Wo nichts ist, hat das Skalpell
Doktor Bleichs sein Recht verloren;
Glatzen bleiben ungeschoren,
denn Verglatzung schreitet schnell.

Die Stagione lirica
schreit nach jungen Debütanten:
Beatniks killen tote Tanten,
Wedebabies quarrn Dada!

Kennst du Schmidt, kennst du ihn wohl?
Schmidt, der lässt die Linge schmettern,
Frühling über Klinge klettern –
stirbt der Weissling, blüht der Kohl.

Kohl so weiss, kohlrabenweiss;
Nacht wird matt, dann flatt und flatter,
Hemdchen hemmt das Lustgeknatter;
Sonne schreit, Moral brennt heiss.

Den Heisshungerpastor hetzt
eine Ätna-Nana glühweiss:
Predigt wird sein Leib, rot, brühheiss
credokrebst er jäh ins Jetzt.

Ist das noch ein deutscher Lenz?
Leichnamt wo noch ein Verwesen?
Will noch eine Welt genesen?
Geistern noch Vergasungsfans?

Mögt ihr Halleluja Schrein,
alle, die da hassen, hassen,
euch von oben segnen lassen:
Erde lebt Hallelunein.

März April Mai mai mai più…
tief ins Violette tauche,
Harfenfleisch gluflammdurchhauche…
deutscher Lenz in Cefalù.

Aus: ULTIMISTISCHER ALMANACH. HERAUSGEGEBEN VON Klaus M. Rarisch. Mit Originalholzschnitten von Hans Arp und Raoul Hausmann. Köln: Hake, 1965, S. 33f

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