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Adelaide Crapsey
(* 9. September 1878 in Brooklyn Heights, New York; † 8. Oktober 1914 in Rochester, New York)
Die amerikanische Dichterin ist außer der englischen Wikipedia nur der ägyptischen, italienischen, japanischen, polnischen und ukrainischen Version bekannt. Was ich da (also in dem Teil, den ich entziffern kann) fand, weckt aber Interesse. Sie ist besonders bekannt für eine Gattung Fünfzeiler, die sie Cinquain nannte. Auch das gibt es bei Wikipedia nur in wenigen Sprachen, darunter Englisch, Französisch, Polnisch, Russisch und Tschuwaschisch. Der französische Eintrag verlinkt auf Quintil, eine französische Gattung von Fünfzeilern mit zwei Reimen, die es vom Mittelalter bis zur Moderne, so bei Guillaume Apollinaire, gab. Die englische Wiki kennt das amerikanische Cinquain als eine besondere Form des Fünfzeilers, den Adelaide Crapsey erfunden hat, inspiriert vom japanischen Tanka. Daneben gibt es didaktische Cinquains und andere Formen: Tanka, Tetractys und Lantern. Cinquain wiederum leitet auf den Oberbegriff Quintain, verstanden als jede poetische Form von fünf Zeilen, worunter außer Cinquain auch Tanka, Quintilla und Limerick behandelt wird.
Aber zum amerikanischen Cinquain, welches auf Crapsey zurückgeht und auch bei anderen englischsprachigen Autoren Verbreitung fand (und variiert wurde). Wiki Russisch erwähnt, daß didaktische Cinquains 1997 auf Russisch erschienen.
Das amerikanische Cinquain hat die Silbenfolge 2-4-6-8-2. Oft aber nicht immer ist es jambisch. Crapsey gibt ihren Gedichten – im Unterschied zu den japanischen Fünfzeilern – eine Überschrift, im Grunde also eine sechste Zeile. Crapseys Cinquain basiere auf der strengen Struktur und intensiven Naturbildern (intense physical imagery), um eine Stimmung oder ein Gefühl auszudrücken.
Als berühmtes Beispiel (hah, nicht berühmt bei uns!) wird dies angeführt:
November Night
Listen…
With faint dry sound,
Like steps of passing ghosts,
The leaves, frost-crisp’d, break from the trees
And fall.
Ich versuche eine nicht wort- sondern silbengetreue Übersetzung:
Novembernacht
Hör hin…
Der schwache Ton
Als trippelten Geister
Blätter von Bäumen gefallen
Frostbleich.
Nicht dasselbe, aber ein Versuch. Adelaide Crapsey.
Sind die Tan’ka, oder Waka wirklich 5 zeilig? Ja, weil grafisch gesehen es öfters auf 5 Zeilen hinausläuft; nein, weil rezitatorisch (nämlich für das Gesellschaftsspiel „Hyakunin Isshu“, „Hundert Dichter je ein Gedicht“) die Gedichte nur zwei Teile haben, hier sehr eindrucksvoll dargestellt: https://archive.org/details/Hyakunin3
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Novembernacht
Hör hin,
der trockene Ton,
wie Schritte von Geistern.
Die Blätter brechen im Frost ab von den Bäumen
und fallen.
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Weil’s gar so hübsch und reizvoll ist, auch von meiner Seite ein Übertragungsversuch:
Novembernacht
Lausch hin …
Schwach trockner Klang
Wie Geisterschritte Gang
Fällt Laub vom Baum frostbrüchig sacht
Herab.
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