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Heute vor 250 Jahren wurde Friedrich Hölderlin in Lauffen am Neckar geboren. Hier der konstituierte erste Entwurf und die letzte handschriftliche Fassung der Ode „Der Nekar“ nach der Kritischen Textausgabe von Sattler.
Der Nekar. Wohl manches Land der lebenden Erde möcht’ Ich sehn, und öfters über die Berg’ enteilt Das Herz mir, und die Wünsche wandern Über das Meer, zu den Ufern, die mir Von andern, so ich kenne, die liebsten sind. Doch lieb ist in der Ferne kein anders mir, Wie jenes, wo das trauernde Land der Griechen. Ach! einmal dort an Suniums Küste möcht’ Ich landen, deine Säulen Olympion! Erfragen, dort, noch eh der Nordsturm Hin in den Schutt der Athenertempel Und ihrer Götterbilder auch dich begräbt, Denn lang schon einsam stehst du, o Stolz der Welt, Die nicht mehr ist – und o ihr schönen Inseln Ioniens, wo die Lüfte Vom Meere kühl an warme Gestade wehn, Wenn unter kräftger Sonne die Traube reift, Ach! wo ein goldner Herbst dem armen Volk in Gesänge die Seufzer wandelt blinkend aus grüner Nacht Wenn sein Granatbaum Zu euch ihr Inseln, wanderte wohl noch einst Der heimathlose Sänger denn ach! er muß Sein Vaterland
Aus diesem alkäischen Odenentwurf, laut Sattler vermutlich Ende Juni 1799 wohl als Doppelode auf die zwei Flüsse Neckar (wo er geboren wurde) und Main (wo er seine Geliebte Susette Gontard fand und verlor) geplant, entsteht die zehnstrophige Ode „Der Main“, die im „Brittischen Damenkalender 1800“ gedruckt wird. Für einen Abdruck in „Aglaia 1801“ faßt Hölderlin das Gedicht neu, nun wieder unter der Überschrift „Der Nekar“ in neun Strophen. Ich gebe hier nicht die Druckfassung, sondern eine spätere Abschrift mit einigen Abweichungen in Schreibweise und Zeichensetzung.
Der Nekar. In deinen Thälern wachte mein Herz mir auf Zum Leben, deine Wellen umspielten mich, Und all der holden Hügel, die dich Wanderer! kennen, ist keiner fremd mir. Auf ihren Gipfeln löste des Himmels Luft Mir oft der Knechtschaft Schmerzen; und aus dem Thal, Wie Leben aus dem Freudebecher, Glänzte die bläuliche Silberwelle. Der Berge Quellen eilten hinab zu dir, Mit ihnen auch mein Herz und du nahmst uns mit, Zum stillerhabnen Rhein, zu seinen Städten hinunter und lustgen Inseln. Noch dünkt die Welt mir schön, und das Aug entflieht, Verlangend nach den Reizen der Erde mir, Zum goldenen Pactol, zu Smirnas Ufer, zu Ilions Wald. Auch möcht ich Bei Sunium oft landen, den stummen Pfad Nach deinen Säulen fragen, Olympion! Noch eh der Sturmwind und das Alter Hin in den Schutt der Athenertempel Und ihrer Gottesbilder auch dich begräbt, Denn lang schon einsam stehst du, o Stolz der Welt, Die nicht mehr ist. Und o ihr schönen Inseln Ioniens! wo die Meerluft Die heißen Ufer kühlt und den Lorbeerwald Durchsäuselt, wenn die Sonne den Weinstok wärmt, Ach! wo ein goldner Herbst dem armen Volk in Gesänge die Seufzer wandelt, Wenn sein Granatbaum reift, wenn aus grüner Nacht Die Pomeranze blinkt, und der Mastyxbaum Von Harze träuft und Pauk und Cymbel Zum labyrintischen Tanze klingen. Zu euch, ihr Inseln! bringt mich vieleicht, zu euch Mein Schuzgott einst; doch weicht mir aus treuem Sinn Auch da mein Nekar nicht mit seinen Lieblichen Wiesen und Uferweiden.
Aus: Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke. Kritische Textausgabe. Hrsg. von D.E. Sattler. Band 4. Darmstadt: Luchterhand, 1985, S. 188-196
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