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Veröffentlicht am 12. September 2019 von lyrikzeitung
Otto Nebel (* 25. Dezember 1892 in Berlin; † 12. September 1973 in Bern)
Wenn Schurken singen
Wir sind die gelehrten Verkehrten,
wir schnacken so klug, daß es knarrt;
der Wahnwitz, den wir vermehrten:
wie hat er die Völker genarrt!
Woimmer wir Weisheit vermuten,
da setzt unser Nörgeln ein;
da müssen wir quengeln und tuten,
verneinen, entstellen und schrein.
Wir wollen von niemandem lernen,
uns kann kein Kunstwerk erreichen;
uns treibt was, den Sinn zu entfernen,
der Worte Bedeutung zu streichen.
Wir können gefährlich vernünfteln,
das Gute und Wahre zerklauben:
wir haften nur an zwei Fünfteln,
wir können an Ganzes nicht glauben.
Gewißheit ist nicht unsre Sache,
drum haben wir auch kein Gewissen;
wir halten Erkenntnis für Mache,
wir können Erleuchtung vermissen!
Wir kennen wohl tausend Verfahren,
die Rechten vom Wege zu locken;
wir möchten selbst Fromme an Jahren
zuletzt noch zuinnerst verstocken.
Wir gaukeln, daß Irrsterne funkeln,
wir schaffen Wirrnis und Nöte;
wir schuften besessen im Dunkeln
und sorgen, daß Wissenschaft töte!
Aus: Otto Nebel: Prosa, Gedichte, Nachlaß (Das dichterische Werk Bd. 2). Hrsg. René Radrizzani. München: Text + Kritik, 1979, S. 217f (Frühe Texte der Moderne)
Kategorie: DeutschSchlagworte: Otto Nebel
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