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Neun Bände auf Buchrollen soll es in der Bibliothek von Alexandria gegeben haben. Die sind seit Jahrhunderten nicht mehr: 1. Version: Der große Brand bei Cäsars Belagerung, 700 Jahre später die arabische Eroberung. 2. Version: Den christlich-orthodoxen Eiferern und andern Fundamentalisten war diese offene Frauenstimme ein vorab sittlicher Gräuel. Was wir heute von Sapphos Werken kennen, ist (bruch)stückweise gefunden und glücklicherweise manchmal erkannt und nicht immer weggeworfen worden. Es gibt bis heute ein einziges Gedicht, dessen Text nicht beschädigt ist. Auf Papyros-Verpackungen, -abdichtungen‚ -mitteilungen – um nicht zu sagen Einkaufszetteln —- hat man Abschriften gefunden, die letzten vor ein paar Jahren.
(…) Da Sappho als Dichterin mindestens zwei Premieren in die Welt setzte, die heute Selbstverständlichkeiten sind, wurden sie und ihre Werke in fast allen Epochen «gebraucht».
benutzt Sappho das «Ich» nicht als ferne Beschreibung oder als Wegschiebung, sondern sie sagte Ich und meinte Ich. Das eigene Individuum bekam also einen Namen.
Es war 700 v. Chr. auch im relativ kulturell hoch stehenden Griechenland fast unerhört, dass eine Frau sich durch ihre Sprache, ihre Texte selbständig machte und sich bis jetzt etwa 2700 Jahre behauptete. Ohne schützende, fördernde Hand eines Despoten — im Gegenteil: der Chef von Lesbos hat sie ein paarJahre nach Sizilien in die Verbannung geschickt, und sie danach wieder zurückkehren lassen.
Beat Brechbühl, in: Jesper Svenbro: Echo an Sappho. Gedichte. schwedisch-deutsch. Frauenfeld: Waldgut, 2011
Morgen: Nie wird sich die griechische Spache von der Sauerstoffzufuhr erholen, die ihr durch Sapphos Gedichte zuteil wurde.
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