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Veröffentlicht am 18. Juni 2017 von lyrikzeitung
Marina Zwetajewa
Aus: GEDICHTE AN BÖHMEN
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SIE NAHMEN
Die Tschechen traten auf die Deutschen zu und spuckten…
(Vgl. Märzzeitungen 1939)
Sie nahmen schnell und mit Großmannsmut:
Sie nahmen den Berg und was unter ihm ruht,
Sie nahmen die Kohle, sie nahmen den Stahl,
Sie nahmen das Blei, und sie nahmen Kristall.
Sie nahmen den Zucker, sie nahmen den Klee,
Sie nahmen die Ferne, sie nahmen die Näh,
Sie nahmen den Westen, sie nahmen den Nord,
Sie nahmen den Süden und Osten fort.
Sie nahmen den Honig, sie nahmen das Bad,
Sie nahmen das Heu, und sie nahmen den Grat,
Sie nahmen das irdische Eden, jedoch:
Sie nahmen kampflos den Kampf uns noch!
Sie nahmen Geschütz, und sie nahmen Geschoß,
Sie nahmen uns Erze und Freund und Genoss‘ –
Wir haben noch Spucke, und die ist für sie:
Uns ganz zu entwaffnen, das schaffen sie nie.
Deutsch von Karl Mickel
Aus: Sternenflug und Apfelblüte. Russische Lyrik von 1917-1962. Berlin: Kultur und Fortschritt, 1962
Die Dichterin Marina Zwetajewa, die die deutsche Sprache und Poesie liebte, schrieb dieses Gedicht nach der Einverleibung der Tschechoslowakei durch Deutschland. Am 18. Juni 1939 kehrt sie aus dem Exil in die Sowjetunion zurück. Die Schwester ist im Arbeitslager, am 27. August wird die Tochter, am 7. November der Mann Sergej Efron verhaftet. 1941 erhängt sie sich. Im gleichen Jahr wird ihr Mann erschossen.
Kategorie: Rußland, RussischSchlagworte: Karl Mickel, L&Poe-Anthologie, Marina Zwetajewa
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Ein „Gefällt mir“ zu drücken heute an dieser Stelle fält mir schwer, zu traurig sind die Worte und was aus diesem Leben von Marina Zwetajewa wurde.
Aber ich möcht mal wieder meinen allerherzlichsten Dank sagen für Deine wunderbare Arbeit hier, von so vielen Gedichten hätte ich sonst nie erfahren!
Ich schätze diesen Ort der unbedingten Bereicherung und Horizonterweiterung und Türöffner in fremde Welten sehr!
Viele liebe Grüße!
Margarete
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