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Di Ming: Ich glaube, es gibt zweierlei Arten von Dichtung. Die eine richtet sich wirklich an das große Publikum mit sehr plakativen Aussagen. Die andere ist sehr verhalten und still. Ich glaube aber auch, es gibt eine Kombination aus beiden Möglichkeiten, mit der wir vor allem die jungen Menschen auch für Dichtung gewinnen können, indem wir eben sehr stark sensibilisieren für die Schönheit der Dichtung, statt irgendetwas herauszubringen wie „Nieder mit …“, oder „Lang lebe …“, „Lang lebe Chairman Mao“ oder „Nieder mit den ausländischen Kapitalisten!“ – pflegen wir jetzt Dichtung als Kunst. Und so können wir uns eben auch ein Publikum aufbauen und heranziehen, gerade unter den jungen Leuten.
Wir haben zum Beispiel Lü Yue, eine Frau, die sich sehr mit gesellschaftlichen Problemen befasst, die Frauenthemen anspricht und mit ihrer sehr direkten Art ein großes Publikum erreicht. Dann haben wir noch Zang Di, ein sehr, sehr einflussreicher Dichter, der vor allem an den ästhetischen Qualitäten von Sprache arbeitet, der Dichtung nicht als politische Waffe verwendet, der aber stilprägend und anregend für zwei Generationen in China gewirkt hat. Jeden Tag bringt er mindestens ein Gedicht neu heraus. Und er greift häufig alltägliche, unscheinbare Beobachtungen auf. Zum Beispiel ist es ja in den großen Städten, Beijing, sehr, sehr trübe und oft diesig, und er greift aus einer solchen Beobachtung, die Luftverschmutzung, eben Anlässe zu sehr überzeugenden Gedichten auf.
Korbinian Frenzel: Nun ist es immer schwierig, egal, zwischen welchen Sprachen, aber über Fremdsprachen auch Gedichte, Poesie zu transportieren. Haben Sie den Eindruck, dass es neben dieser Sprachbarriere, der natürlichen, vielleicht auch so etwas wie eine kulturelle Barriere gibt zwischen Poesie aus China und der Poesie, wie wir sie hier geprägt vorfinden?
Ming: Ja. Ich glaube durchaus, dass es unterschiedliche Aspekte gibt, die die chinesische Lyrik schwerer zu übersetzen machen als aus anderen Sprachen. Trotz aller Schwierigkeiten: Übersetzen von Lyrik ist möglich, wenn man nur die richtigen Fähigkeiten anwendet, wenn man eben hinhört auf diese Unterschiede. Solange der Glaube an literarische Verständigung, an die Möglichkeit von Dichtung da ist, wird eine Übersetzung zu Stande kommen.
Die chinesische Poetin und Mit-Kuratorin des diesjährigen Poesiefestivals in Berlin, Ming Di, sprach mit dem Deutschlandradio
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