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Der hitzig freiheitsliebende Puschkin wusste, dass er hochgefährdet war. Im Alter von zwanzig Jahren war er wegen Spottversen auf hohe Regierungsbeamte, die die gebildete Jugend auswendig kannte, fast nach Sibirien verbannt und schließlich „nur“ nach Südrussland strafversetzt worden. Mit 25 Jahren wurde er von Zar Alexander I. aus dem Staatsdienst gefeuert und auf seinem Familiengut bei Pskow festgesetzt, weil der Staatsmacht zu Ohren gekommen war, dass er die Existenz Gottes anzweifelte und das Ende der Tyrannei herbeisehnte. Wenige Jahre später rettete ihn nur die Begnadigung durch Zar Nikolai I. vor einer Verurteilung wegen seiner erotischen Travestie auf die unbefleckte Empfängnis, „Gawriliada“, deren Autorschaft er wohlweislich leugnete. Und er sah mit an, wie sein Freund Pjotr Tschaadajew, einer der glänzendsten Intellektuellen seiner Zeit und der Begründer der russischen Philosophie, seiner Schriften wegen für wahnsinnig erklärt wurde. Es war der erste Fall einer Diagnose geistiger Umnachtung aus politischen Gründen. / Kerstin Holm, FAZ (Frankfurter Anthologie)
Das Gedicht beginnt (in der Übersetzung von Michael Engelhard) so:
Gib Gott, dass mich nicht Wahnsinn packt.
Nein, lieber alt und arm und nackt;
Nein, lieber Müh und Leid.
Nicht, weil ich, auf mein Denken stolz,
Von ihm nicht lassen könnt; ich wollt‘s,
Ich wär dazu bereit.Ließ man mich frei, ging alsobald
Ich froh in einen finstern Wald
Zu einem Schattenbaum.
Ich sänge Fieberphantasien,
Ich würde flammentrunken glühn
In wirrem Wundertraum.
Der allererste wohl nicht.
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