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Da Zander im Titel von einem „manual numerale“ spricht, wird ein Zusammenhang zwischen Zahl (Datum) und Textlänge (Vers) suggeriert. In einem 14-Zeiler heißt es:
„14. / es ist mai es ist juni julei / jeder vierzehnte gebe mich frei“.
Dieser Vision einer Gliederung liegt das Prinzip des Verirrens zugrunde. Zander zelebriert nicht das Chaos, sie zeigt ein Sprechverhalten, das jenseits der Ordnung funktioniert – und sich übrigens auch auf den Leser überträgt. Der müsste sich nämlich die Seiten markieren, um ein bestimmtes Gedicht wiederzufinden.
An Entdeckungen mangelt es nicht in diesem besonderen Hand- beziehungsweise Tagebuch. Der Mond als klassisches Requisit der Lyrik wird „als falschkadenz“ bezeichnet und „zimmernummern“ als „verwunschne glossen“. Mitunter sprechen die Musen „änglisch“ und in Anlehnung an Paul Gerhardts geistliches Sommerlied dichtet Zander freimütig frech:
„Geh aus mein Herz bloß raus und mach / die herzklappe von außen zu“.
In einem 7-Zeiler wird die Barockdichterin Sibylla Schwarz als „antipodin“ bezeichnet, die siebzehnjährig starb und ca. 300 Gedichte und Gebete hinterließ.
Der Weg ist das Ziel in Zanders Sammlung, wobei sich die Sprache horizontal und vertikal ausdehnt und wundersam verzweigt. In der schier unendlichen Vielfalt von Silben-, Wort- und Versverbindungen begründet sich die Faszination eines kreuzgescheiten poetischen Labyrinths. / Carola Wiemers, DLR
Judith Zander: manual numerale
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2014
100 Seiten (im Buch ohne Angabe), 14,90 Euro
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