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«Ich gehe schlafen», schreibt Alfonsina Storni am 22. Oktober 1938 in einer Pension in Mar del Plata in ihrem letzten Gedicht. Sie bringt es zur Post. Fünf Tage später wird es die Zeitung «La Nación» abdrucken. Storni wird dann bereits den Tod gefunden haben, sie ist ins Wasser gegangen. Den Echoraum ihres Abschiedsverses wird dreissig Jahre später der argentinische Schriftsteller Félix Luna durchschreiten und ihr ein Gedicht widmen: «Alfonsina y el mar», das sich als elegischer «Zamba» aus der Feder des Komponisten Ariel Ramírez in die Seelentiefen der Lateinamerikaner legen und durch CD-Aufnahmen weit über den Erdball Berühmtheit erlangen wird: «Du gehst, Alfonsina, mit deiner Einsamkeit. Welche neuen Verse gingst du suchen? Eine ferne Stimme aus Wind und Salz umschmeichelt deine Seele. Sie ruft dich, und du gehst dahin, wie im Traum, schlafend, Alfonsina, gekleidet aus Meer.» Später wird ihr der Schweizer Mundartpoet Pedro Lenz einen Liebesbrief schreiben, der 2012 im Schweizer Radio zu hören war: «Alfonsina, mein Herz, du warst ungefähr so alt, wie ich jetzt bin, als du in Mar del Plata ins Wasser gingst, immer weiter hinaus, bis nur noch deine Worte blieben, während dein Körper im unendlichen Meer versank.» / Miriam Hefti, NZZ
Alfonsina Storni: Meine Seele hat kein Geschlecht. Erzählungen, Kolumnen, Provokationen. Hg. von Hildegard Elisabeth Keller. Vorwort von Elke Heidenreich. Limmat-Verlag, Zürich 2013. 320 S., Fr. 46.90.
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