89. Einfall

Gelegentlich leistet sich Wisława Szymborska auch ein bisschen Koketterie, so wenn sie im Gedicht Einfall ebendiesem Einfall, der sich bei ihr einstellt, den Rat erteilt, sich an einen anderen, besseren Dichter zu wenden.
Es gab in Polen diesen »besseren Dichter«, und wenn das Werk der Szymborska überhaupt mit einem winzigen Makel belastet ist, dann mit einem, für den sie absolut nichts kann, gemeint ist der Nobelpreis, der – als in Stockholm Polen auf dem Plan stand – doch mehr Zbigniew Herbert gebührt hätte als ihr; sein Werk zeichnet sich durch größere Dringlichkeit aus und eröffnet Dimensionen, die Wisława Szymborska verschlossen blieben oder die sie vielleicht gar nicht erschließen wollte. Aber was zählen alle Hierarchien von Ehre und Ruhm angesichts eines einzigen geglückten Gedichts, das sich dem Weltenlauf entgegenstellt? Wisława Szymborska sind nicht wenige solche Gedichte geglückt, eines von ihnen und eines ihrer letzten, Vermeer überschrieben, sei zuletzt zitiert: »Solange diese Frau aus dem Rijksmuseum / in der gemalten Stille und Andacht / Tag für Tag Milch / aus dem Krug in die Schüssel gießt, / verdient die Welt / keinen Weltuntergang.« / Peter Hamm, Die Zeit 22, S. 51

Wisława Szymborska:
Glückliche Liebe und andere Gedichte
A. d. Poln. v. Karl Dedecius und Renate Schmidgall; Kommentar von Adam Zagajewski; Suhrkamp Verlag, Berlin 2012; 104 S., 18,95 €

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