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Friedrich Hölderlin
Gesang des Deutschen Vis consilí expers mole ruit sua; Vim temperatam di quoque provehunt in maius. Horat.* O heilig Herz der Völker, o Vaterland! Allduldend, gleich der schweigenden Mutter Erd', Und allverkannt, wenn schon aus deiner Tiefe die Fremden ihr Bestes haben! Sie erndten den Gedanken, den Geist von dir, Sie pflüken gern die Traube, doch höhnen sie Dich, ungestalte Rebe! daß du Schwankend den Boden und wild umirrest. Du Land des hohen ernsteren Genius! Du Land der Liebe! bin ich der deine schon, Oft zürnt' ich weinend, daß du immer Blöde die eigene Seele läugnest. Doch magst du manches Schöne nicht bergen mir; Oft stand ich überschauend das holde Grün, Den weiten Garten hoch in deinen Lüften auf hellem Gebirg' und sah dich. An deinen Strömen gieng ich und dachte dich, Indeß die Töne schüchtern die Nachtigall Auf schwanker Weide sang, und still auf Dämmerndem Grunde die Welle weilte. Und an den Ufern sah ich die Städte blühn, Die Edlen, wo der Fleiß in der Werkstatt schweigt, Die Wissenschaft, wo deine Sonne Milde dem Künstler zum Ernste leuchtet. Kennst du Minervas Kinder? sie wählten sich Den Oelbaum früh zum Lieblinge; kennst du sie? Noch lebt, noch waltet der Athener Seele, die sinnende, still bei Menschen, Wenn Platons frommer Garten auch schon nicht mehr Am alten Strome grünt und der dürftge Mann Die Heldenasche pflügt, und scheu der Vogel der Nacht auf der Säule trauert. O heilger Wald! o Attika! traf Er doch Mit seinem furchtbarn Strale dich auch, so bald, Und eilten sie, die dich belebt, die Flammen entbunden zum Aether über? Doch, wie der Frühling, wandelt der Genius Von Land zu Land. Und wir? ist denn Einer auch Von unsern Jünglingen, der nicht ein Ahnden, ein Räthsel der Brust, verschwiege? Den deutschen Frauen danket! sie haben uns Der Götterbilder freundlichen Geist bewahrt, Und täglich sühnt der holde klare Friede das böse Gewirre wieder. Wo sind jezt Dichter, denen der Gott es gab, Wie unsern Alten, freudig und fromm zu seyn, Wo Weise, wie die unsre sind? die Kalten und Kühnen, die Unbestechbarn! Nun! sei gegrüßt in deinem Adel, mein Vaterland, Mit neuem Nahmen, reifeste Frucht der Zeit! Du lezte und du erste aller Musen, Urania, sei gegrüßt mir! Noch säumst und schweigst du, sinnest ein freudig Werk, Das von dir zeuge, sinnest ein neu Gebild, Das einzig, wie du selber, das aus Liebe geboren und gut, wie du, sei – Wo ist dein Delos, wo dein Olympia, Daß wir uns alle finden am höchsten Fest? – Doch wie erräth der Sohn, was du den Deinen, Unsterbliche, längst bereitest?
Aus: Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke. Kritische Textausgabe, Band 5: Oden II. Hrsg. D.E. Sattler. Darmstadt und Neuwied: Luchterhand, 1985, S. 245ff
* )
Kraft ohne Einsicht stürzt durch die eigne Wucht,
Kraft, die maßvoll bleibt, führen die Götter selbst
noch höher; [sie hassen Kräfte,
die jeden Frevel im Sinne bewegen.]
Deutsch von Bernhard Kytzler, aus: Horaz: Sämtliche Werke Lateinisch/ Deutsch. Stuttgart: Reclam, 2006, S. 143
Peter Rühmkorf
Variation auf «Gesang des Deutschen» von Friedrich Hölderlin Wie der Phönix aus den Scherben, oh Vaterland, Edelstahl platzt in den Nähten, Fette erholt, Farben bei lebhaftem Angebot Aufgalopp, Kursgewinn‚ Hanomag, hundertprozentige Rheinstahltochter . . . also erhobest du dich, verlorengegebener gräulich geviertelter Aar, doch bald auf der Höhe schon deines alten Gewichts, und, ei, den Tauben gleich an Kropf und Krallen! Du Land, chromblinzelnd, wo man die Meinung verzieht bei stillem Anteil, bin ich der deine schon? Sieh, auch ich bin fix in der Lüge, freundlich blinket mein Damaszenergebiß. Wenn ich mich auf meine Feinde besinne, morgens, wenn mir der rote Kamm unterm Hut schwillt . . . leicht von den Knöcheln gebrochen, wächst ihr schon neuer Vorrat, der morchelhäuptigen Hyder. Wer wollte da? an welchem Fels? wozu? mit was? dem Adler trotzen, dem längst überfütterten? der von des Himmels Kaltschale nippt, dein nicht zu achten und Helden-Unschlitt. Oh Freund, vor kein Schafott bestellt, in Frieden, wer bläst sich da auf und wie ohne Zweifel?! Zück deine Hauer, alteingesessen, da bleibet ein abgestochener Brei auf der Walstatt. Kennst du Minervens Kinder? Was kümmert sie des Wüsten Donnerers, des sie nicht achten, Gebell? Schickt, schickt ihn nur ins Glück, da wird keiner über die eigenen Zähne straucheln. Das geht in Größe glatt, das ist wie über Nacht ins Licht gefordert und vor die Sterne geschleift, jeder zu allem aufgerufen, man teilet dir vom Schmer des Säkels und heißt dich verdauen. Nimm nun dein Pfund auf dich und wuchere, ehe der schlechtere Mann das Licht absahnt — unter die Gauner erhoben, sollst du deinen Hintern zum Fluge lüften. Gegrüßt in deinem Glanze, mein Vaterland! Mit neuen Namen lockst du, mit Blust und Bluff, wenn das entbundene Fett als Flamme mächtig über die eigenen Ufer lodert. Noch schwillst du an von unterdrücktem Krieg, sinnest ein neu Gebild, das von dir zeuge, das, einzig wie du selbst, das aus Stroh geschaffen, goldene Körner treibt. Wo sind nun Dichter, die ein neu Gemythe auftuen diesem blauen Schlaraffenblick? Tausendgut — Güldenfett — Rosenschleck — Eselein deck dich, Deutschland, käufliche Mutter. Also: aus voller Brust geklampft, aus vollem Magen — das Lied, aus überfließendem Munde gespendet; Schmierig währt am längsten, wer wollte da mürisch gegen die Seligen vorgehn?! Die in der Sonnenlache, die im Gewinnbereich ihren Jubel aus eigener Tasche bestreiten; und – die Hand an der Börse — schwört es Sein gestrichen Maß Glück und Persönlichkeit. Gebt also, gebt ihn endlich, gebt den Himmel frei, und scheltet nicht, nein, besser preiset ihn, den wohlgelenken, den Mann, der nach Sintflut und -feuer wieder den Wanst in die Waage hievte. Der was die ALTEN sungen, der Dichter spann, wirklich erfährt, das prästabilierte Behagen: Nun: Blüten angelandet! nun: Sternenstreusel! und mit dem Sänger geteilt auf Kippe und Schweigen. Auf Kippe und Gedeih, daß nie und keiner die Kreise jemals störe, Wanderer, kommst du nach Deutschland, sage du habest uns hier unterliegen sehen, wie es der Vorteil empfahl.
Aus: Peter Rühmkorf, Gedichte (Werke 1). Reinbek: Rowohlt, 2000, S. 233ff
Vis consili expers mole ruit sua;
Vim temperatam di quoque provehunt
In majus; [idem odere vires
Omne nefas animo moventes.]
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Hölderlin zitiert es nur bis maius. Ich fügte die Fortsetzung hinzu, weil das Gedicht gern deutsch-nationalistisch verstanden wird…
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