Qu’il vive. Es lebe!

René Char

(geboren 14. Juni 1907 in L’Isle-sur-la-Sorgue, Département Vaucluse; gestorben 19. Februar 1988 in Paris)

ES LEBE!

Dies Land ist nur
ein Wunsch im Geist,
ein Gegen-Grab.

In meinem Land zieht man die zarten Beweise des Frühlings und die dürftig gekleideten Vögel den Fernzielen vor.

Die Wahrheit harrt der Morgenröte neben einer Kerze. Das Fensterglas ist trübe. Was kümmert’s den Wachsamen.

In meinem Land stellt man einem Erschütterten keine Frage.

Kein hämischer Schatten fällt auf das gekenterte Boot.

Halbes Willkommen kennt man in meinem Land nicht.

Man leiht nur, was man vermehrt zurückgeben kann.

Blätter, viele Blätter haben die Bäume meines Landes. Den Ästen steht’s frei, keine Früchte zu tragen.

Der Redlichkeit des Siegers traut man nicht.

In meinem Land sagt man Dank.

Übertragen von Gerd Henniger. Aus: Poesiealbum 74. René Char. Berlin: Neues Leben, 1973, S. 19

 

 

 

 

 

 

 

Qu’il vive!

Ce pays n’est
qu’un vœu de l’esprit,
un contre-sépulcre.

Dans mon pays, les tendres preuves du printemps et les oiseaux mal habillés sont préférés aux buts lointains.

La vérité attend l’aurore à côté d’une bougie. Le verre de fenêtre est négligé. Qu’importe à l’attentif.

Dans mon pays, on ne questionne pas un homme ému.

Il n’y a pas d’ombre maligne sur la barque chavirée.

Bonjour à peine, est inconnu dans mon pays.

On n’emprunte que ce qui peut se rendre augmenté.

Il y a des feuilles, beaucoup de feuilles sur les arbres de mon pays. Les branches sont libres de n’avoir pas de fruits.

On ne croit pas à la bonne foi du vainqueur.

Dans mon pays, on remercie.

Das Gedicht auch in: René Char, Und der Schatten der Sanduhr begräbt die Nacht. Gedichte. Berlin: Volk und Welt, 1982 (darin zweisprachig)

2 Comments on “Qu’il vive. Es lebe!

  1. LONG LIVE…

    This country is but a wish of the spirit, a counter-sepulcher.

    In my country, tender proofs of spring and badly dressed birds are preferred to far-off goals.

    Truth waits for dawn beside a candle. Window glass is neglected. To the watchful, what does it matter?

    In my country, we don’t question a man deeply moved.

    There is no malignant shadow on the capsized boat.

    A cool hello is unknown in my country.

    We borrow only what can be returned increased.

    There are leaves, many leaves, on the trees in my country. The branches are free to bear no fruits.

    We don’t believe in the good faith of the victor.

    In my country, we say thank you.

    Translated by Michael Worton. From The Dawn Breakers / Les Matinaux, published by Bloodaxe Books, 1993

    Like

Kommentar verfassen

Bitte logge dich mit einer dieser Methoden ein, um deinen Kommentar zu veröffentlichen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..

%d Bloggern gefällt das: