Ertrunkener im Grünen

Bolesław Leśmian

(* 22. Januar 1877* in Warschau; † 5. November** 1937 ebenda)

ERTRUNKENER

Auf einer Lichtung, weich der Gräserflut zu Füßen,
Wo Wald und Flur ganz plötzlich ineinanderfließen.
Liegt unnütz vor sich selbst der Leichnam eines Wandrers.
Er sah die ganze Welt, den Himmel und auch andres,
Bis er, der Ungestüme, auf der Kummerfährte,
Das Grün an sich im Geist zu finden, aufbegehrte.
Da nahm ihn, als er rastete, mit Waldeszangen
Der Dämon allen Grüns in seinen Wind gefangen,
Verhieß, er würde ewig von Erblühtem nippen.
Und sog mit der geheimen Unlach wirrer Lippen
Und zauberte Vernichten, Unverkörperungen,
Verführte ihn ins Grün mit seinen grünen Zungen!
Und er lief an den Ufern immer andrer Welten,
Entmenschlichte sich ganz, wo Blumen ihn beseelten,
Bis er in ein Geläut geriet von Beerenfülle,
In solches Farnkrautdunkel, solche Gräberstille,
In solche Gräserunwelt, solches Ohnetürme,
In solches Rauschen, letztes irgendwo Gestürme,
Daß er jetzt tot hier liegt, das Abgrundlos zu sühnen,
Ein Schatten, Wald im Wald – Ertrunkener im Grünen.

1920

Deutsch von Karl Dedecius. Aus: Poesie der Welt. Polen. Hrsg. Peter und Renate Lachmann. Berlin: Edition Stichnote im Propyläen Verlag, 1987, S. 226f (Die Jahreszahl ergänzt aus: Polnische Poesie. Ausgewählt von Karl Dedecius. München: dtv, 1968, davor bei Hanser 1964)

Prosaübersetzung der Herausgeber Peter und Renate Lachmann

Auf den flüchtigen Strömen des Schafgrases, in der Waldlichtung, / Wo der Wald unverhofft einer Wiese sich angleicht, / Liegt die Leiche des Wanderers, eine unnütze Leiche. / Er hat die ganze Welt durchwandert von Wolken zu Wolken, / Bis er plötzlich in ungeduldiger Trauer begehrte, / Querfeldein das Grün an sich im Geiste zu bereisen. / Gleich umfing ihn der Dämon des Grüns in allwaldigem Wehen, / Als er auf dem Weg unter einem Baum innehielt, / Und (ihn) mit der Hast unaufhörlicher Blüte lockte, / Und mit geheimem Nichtlächeln des atemlosen Mundes reizte, / Und mit der Nichtigkeit duftender Nichtverkörperungen bezauberte, / Und immer tiefer verführte – in dieses Grün, in dieses Grün! / Und er lief an den Ufern immer anderer Welten, / Die Seele und den Atem mitten unter den Blumen ent-menschend, / Bis er vordrang in die klingenden Krüge solcher Beeren, / In einen solchen Nichtbeginn von Dickicht, in eine solche Tonlosigkeit von Stummheit, / In eine solche Düsternis von Farn, in die Grabhügel solcher Stillen, / In die letztendlichen Gestöber solchen Lärms, / Daß er nun da liegt tot in der Grundlosigkeit von hundert Frühlingen, / Schattig, wie ein Wald im Walde – der Ertrunkene des Grüns.

TOPIELEC

W zwiewnych nurtach kostrzewy, na leśnej polanie,
Gdzie się las upodobnia łące niespodzianie.
Leżą zwłoki wędrowca, zbędne sobie zwłoki.
Przewędrował świat cały z obłoków w obłoki,
Aż nagle w niecierpliwej zapragnął żałobie
Zwiedzić duchem na przełaj zieleń samą w sobie.
Wówczas demon zieleni wszechleśnym powiewem
Ogarnął go, gdy w drodze przystanął pod drzewem,
I wabił nieustannych rozkwitów pośpiechem,
I nęcił ust zdyszanych tajemnym bezśmiechem,
I czarował zniszczotą wonnych niedowcieleń,
I kusił coraz głębiej – w tę zieleń, w tę zieleń!
A on biegł wybrzeżami coraz innych światów,
Odczłowieczając duszę i oddech wśród kwiatów.
Aż zabmął w takich jagód rozdzwonione dzbany,
w taki bezświt zarośli, w taki bezbrzask głuchy,
W taką zamrocz paproci, w takich cisz kurhany,
W takich szumów ostatnie kędyś zawieruchy.
Że leży oto martwy w stu wiosen bezdeni.
Cienisty, jak bór w borze – topielec zieleni.

*) Um die Lebensdaten gibt es einige Verwirrung. Alle konsultierten Versionen der Wikipedia (deutsch, polnisch, englisch, russisch) geben den 22. Januar 1877 an und erwähnen, dass auch 1878 in Frage kommt: „in der Abschrift seiner Geburtsurkunde steht 1877, er selbst nannte das Jahr 1878 und auf seinem Grabstein steht 1879.“ Die Online-Enzyklopädie des Warschauer Wissenschaftsverlages PWN (Wydawnictwo Naukowe PWN) begnügt sich mit der Angabe: „22. I. 1877 – auch andere Daten werden angegeben“.

Je weiter man sucht, um so mehr Verwirrung. Die als seriös zu betrachtende Encyclopedia Britannica weiß:

Bolesław Leśmian, original name Bolesław Lesman, (born January 12, 1877 or 1878, Warsaw, Poland, Russian Empire [now in Poland]—died November 5, 1937, Warsaw), lyric poet who was among the first to adapt Symbolism and Expressionism to Polish verse.

  1. Januar? Ich schaue in das DDR-Lexikon fremdsprachiger Schriftsteller von 1979: ebenfalls 12.1. Kindler 1988: 22.1. Wieso haben die beiden Lexika 10 Tage früher? Gemeinsame Quelle? Nächstes mal in der Bibliothek suche ich weiter. (Der in Russland, aber wohl nicht im russischen Polen (?) gültige julianische Kalender kann es wohl nicht sein, der müsste für das 19. Jahrhundert 12 Tage Unterschied haben.

**) Weitgehende, wenn auch nicht völlige Einigkeit besteht hinsichtlich des Sterbedatums. Fast alle geben den 5. November 1937 an. Die italienische und spanische Wikipedia aber haben den 7. November. Das scheint nicht zu stimmen – Wiki Russisch gibt als Quelle für das Sterbedatum eine polnische Zeitung vom 7. November 1937 an.

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