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Veröffentlicht am 5. März 2018 von lyrikzeitung
Julian Przyboś
(* 5. März 1901 in Gwoźnica Dolna/Powiat Strzyżowski; † 6. Oktober 1970 in Warschau)
Solange wir leben
Kanonendonner,
blutroter Feuerschein,
lodernd, als bräche der Himmel ein.
Hilflos, von Granaten zu Boden geschmissen,
fleh ich um Gnade, um ein Gewehr!
Schrei wie ein Tier …
Doch dann, wie vom Tod auferstanden,
blick ich umher,
sehe — von Bomben zerschlagen, zerrissen —
Warschau vor mir.
Weinen von Männern dringt
in mein geborstenes Ohr,
und wie eine Kugel ihr Schweigen.
Das war die Sekunde, in der ich den Bruder verlor.
Ihr, die ihr über die Grenzen die Köpfe tragt
und zu den Waffen flüchtet, nehmt meinen Segen!
In dem zertrümmerten Bunker sitz ich verzagt,
allzu kraftlos, die Stimme noch zu erheben,
und unsre Hymne zu singen: „Solange wir leben …“
September 1939
Deutsch von Martin Remané
Aus: Polnische Lyrik aus fünf Jahrzehnten. Hrsg. Henryk Bereska und Heinrich Olschowsky. Berlin u. Weimar: Aufbau, 1975, S. 126
Kategorie: Polen, PolnischSchlagworte: Julian Przyboś, L&Poe-Anthologie, Martin Remané
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