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Veröffentlicht am 24. November 2014 von lyrikzeitung
Natürlich kann man mit Bibelversen immer noch Originelles sagen. Der Sozialphilosoph Max Horkheimer ließ am jüdischen Friedhof in Bern den schlichten Vers 1 von Psalm 91, der sich dort auf der Grabplatte seines Vaters Moritz befindet, genau symmetrisch durch Vers 9 auf seinem Grab ergänzen. So kehrte der große Marxist im symbolischen Jenseits in die Familientradition zurück.
Meist aber sprechen religiöse Worte auf Friedhöfen ins Leere. Der Feuilletonist Louis-Sébastian Mercier zog die Konsequenz vieler Humanisten und dichtete seinen Grabspruch selber: „Menschen aller Länder, beneidet mein Geschick: / Zur Welt gekommen als Untertan / Liegt mein Grab in einer Republik.“ Die Worte „Nun, o Unsterblichkeit“ stehen auf Heinrich von Kleists Grabstein. Sie stammen aus den Abschiedsversen seines Prinzen Friedrich von Homburg in dem gleichnamigen Schauspiel, und zwar unmittelbar vor der Hinrichtung.
Gelegentlich blitzte auch im 19. Jahrhundert der Humor noch einmal auf. „Wandrer, zieh doch weiter, / denn Verwesung stimmt nicht heiter“, dichtete der 1854 an der Cholera verfallene Niederösterreicher Ferdinand Sauter in eigener Sache. / Wolfgang Koch, Der Standard
Kategorie: Österreich, DeutschSchlagworte: Ferdinand Sauter, Heinrich von Kleist, Louis-Sébastian Mercier, Max Horkheimer, Wolfgang Koch
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