52. Dauermurmeln

Der 1969 geborene Lyriker Hendrik Rost versteht unter Schreiben sogar ausdrücklich ein Totengespräch. „Ad plures ire“ – zu den Vielen gehen – hat er einmal ein Gedicht betitelt und die lateinische Wendung, mit der die Römer das Sterben umschrieben, zum Prinzip der Poesie schlechthin erklärt. Jeder Vers fügt sich für ihn in „ein Dauermurmeln, das plötzlich an unvermuteter Stelle neu ansetzt“.

Dazu gehört, dass ihm auch die Idee des Zu-den-Vielen-Gehens erst durch Walter Benjamin zugewachsen ist. Und dazu gehört, dass „Ad plures ire“ ein den Tod beschwörendes Motto des Russen Ossip Mandelstam trägt. Doch Hendrik Rosts Gedichte waren nie schwer und schwarz, sondern bei allen Melancholien immer licht und transparent. Sie waren überdies stets voraussetzungslos zugänglich. Das gilt auch für seinen sechsten Lyrikband „Licht für andere Augen“, der in drei Abteilungen 66 Gedichte enthält und ihn auf der Höhe seines über die Jahre erworbenen Könnens zeigt. Wo er früher auf den Schultern literarischer Riesen gelegentlich über Prätentiöses stolperte, da geht er heute durchweg elegant – und auf Zehenspitzen. / Gregor Dotzauer, DLR

Hendrik Rost: Licht für andere Augen
Gedichte
Wallstein Verlag, Göttingen 2013
80 Seiten, 16,90 Euro

8 Comments on “52. Dauermurmeln

  1. „sich gut verkaufen“ bei lyrikbänden ist relativ. die auflage von 300 wäre normal, eine auflage von 500 ist eine hohe auflage, bei 1.000 verkauften exemplaren kann man schon von einem beststeller sprechen. ich denke, wallstein strebt letztere marge an. und hat auch den entsprechenden autor dafür gefunden, das konzept geht auf. ich habe an dem großen, großen büchertisch in erlangen (= der verkaufsstand eines großen buchhändlers), schon einige käufer mit rosts buch gesehen. es ist aber dort auch die festtagsstimmung, sich bei gutem wetter und von bratwurst, bier und lesung beschwingt, mal so ein buch zu kaufen.

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  2. Bist Du sicher mit „gut verkauft“? Leute, wie Du sie beschreibst finden die Gedichte, wie Du sie beschreibst ganz in Ordnung, aber ein Buch kaufen sie meistens nicht. Sie hören es sich eben mal an …

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    • armin steigenberger, das stimmt schon, ich find es auch nicht gut, über das, was rezensenten/innen schreiben, zu schimpfen, ich bin auch gar nicht glücklich damit, dass ich es hier getan habe. hätte ich zum ersten mal so was gelesen, hätte ich mich auch nicht gemeldet, aber mir fallen solche verunglückten formulierungen in letzter zeit öfter auf, komischerweise gerade in besprechungen von lyrikbänden (oder neulich las ich auch eine wirklich schlimme laudatio), und ich frage mich halt, was da los ist. klar, die rezensent/innen stehen unter produktionsdruck, vielleicht, werden auch bestimmt nicht gut bezahlt, und fehler macht jeder mal, aber derart gehäuft, ärgert michs trotzdem, dass solche sätze einfach so durchgehen. vielleicht bin ich zu streng in der hinsicht? aber ein bißchen handwerk muss doch schon sein, oder? das ergebnis klingt dann sehr oft so – launig wäre ein ganz gutes wort dafür. irgendwie augenzwinkernd und dann auch nicht mehr seriös. das finde ich schade.

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  3. obwohl ich es immer ein bisschen unglücklich finde, in kommentaren gegen rezensenten zu „bashen“, komme ich nicht umhin, da großenteils zustimmend zu nicken. das bild mit dem riesen ist tatsächlich etwas verunglückt, mit „voraussetzungslos verständlich“ ist vermutlich gemeint, sie sind ohne große vorkenntnisse zu lesen (zu konsumieren?), was aber auch ein widerpruch in sich ist, denn „ad plures ire“ kann nur jemand vom blatt lesen, der die voraussetzung minimaler lateinkenntnisse mitbringt. viel lieber jedoch würde ich gegen rosts buch inhaltlich anschreiben wollen: daraus habe ich kürzlich auf dem erlanger poetenfest den autor höchstselbst und halbstündig lesen hören und fand es – das lag womöglich auch am vortrag – diese art von unterhaltungslyrik, wo ich für mich nur abwinken kann. was von lesern (die sonst haupsächlich unterhaltungsprosa lesen?) gefeiert wird als „tolle bilder“ usw., sprich poesie als genre für ein publikum, das man erst mit aufrufen wie „poetisiert euch!“ zur lyrik hintragen muss: irgendwie zu süffig, zu glatt, zu wenig widerständig, ohne anliegen, elegant, „licht und transpraent“. in summa eine form von populärlyrik, die sich gut verkauft.

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  4. „Voraussetzungslos“ meint hier wahrscheinlich: Der Rezensent muss nur auf automatisiertes Wissen zurückgreifen. Ob es anderen genauso geht und ob das ein Vorteil ist, sei einmal dahingestellt, auch weil ich den neuen Band ebenfalls nicht kenne. Die Scheidung in „voraussetzungslos verständliche“ und andere Texte, lese ich immer als Indiz dafür, dass der schreibende Kritiker seine Brille für die einzig mögliche? adäquate? hält.

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  5. das geht jetzt keineswegs gegen die gedichte, die ich nicht kenne – aber den rezensenten würde ich gern mal in einen kurs: „schreiben über bewegungen“ schicken. wenn jemand auf den schultern von riesen sitzt, kann er ja nicht stolpern, sondern der betroffene riese würde stolpern. und durchweg elegant auf zehenspitzen gehen, ach na ja… die x-te anverwandlung von bildchen aus dem tanz, die, so hingeschrieben, einfach viel zu ungenau sind. z.b. auf zehenspitzen gehen schließt stolpern zunächst mal gar nicht aus – und das meine ich jetzt wirklich nicht metaphorisch. nennt mich kleinkrämerisch, aber ich konnte es mir nicht verkneifen.

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