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Wenn nun ein Sterblicher den Traumgott Morpheus zu seinem „Bruder“ erklärt, dann bewegt er sich selbst in den fluiden Zonen des Traums und des ewigen Schlafs. Der Lyriker und Übersetzer Wolfgang Schlenker, der sich im August 2011 im Alter von 47 Jahren das Leben nahm, hat Gedichte hinterlassen, die den Arbeitstitel „bruder morpheus“ tragen. Diese Gedichte scheinen feine Verbindungslinien zu jenen Dämonen zu ziehen, die aus dem Reich der Schatten fatalistische Botschaften in unsere Lebenswelt senden. Die lakonischen Reflexionen, die Schlenker zu desillusionierenden Existenz-Bulletins gebündelt hat, lesen sich wie nüchterne Widerlegungen eines wie auch immer gearteten „Prinzips Hoffnung“. Eröffnet wird das Nachlass-Konvolut mit einem Text, der aus einem fiktiven „tagebuch der zukunft“ zitiert und dort einen wenig ermutigenden Satz findet: „ab einer bestimmten schwelle / kann heilung nachteilig sein“. Und weiter heißt es: „wolken ziehen über unserem gebiet / auch das wetter ist nur zu besuch / mit überleben zufrieden / ein falke fliegt / knapp über das feld / ohne zu jagen.“ Doch selbst das Überleben wird als erstrebenswertes Ziel in Frage gestellt. Die Welt wird aus der Perspektive einer fortdauernden Schrumpfung des Lebens-Horizonts und der Minimierung von Daseinsmöglichkeiten wahrgenommen. / Michael Braun in der Serie „Der gelbe Akrobat – Neue Folge“ über Wolfgang Schlenker, Poetenladen
2012 erschien ein erstes Nachlass-Konvolut mit Gedichten unter dem Titel „doktor zeit“ (roughbooks 020, Solothurn 2012). Der komentierte Text ist Heft 2 der von Urs Engeler herausgegebenen Zeitschrift „Mütze“ entnommen, die weitere 20 Gedichte aus Schlenkers Nachlass versammelt.
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