Das Archiv der Lyriknachrichten | Seit 2001 | News that stays news
Als Stefan George am 4. Dezember 1933 starb ein populärer Lyriker. Ein Jahr nach Georges Tod summierte sein Verleger Georg Bondi die Höhe der Auflagen von Georges Büchern und gelangte zu staunenswerten Zahlen: Von keinem der Georgeschen Gedichtbände waren weniger als 10 000 Exemplare gedruckt worden, und bei seinem erfolgreichsten Buch, dem „Jahr der Seele“, belief sich die Zahl sogar auf 31 000 Exemplare. Seinen Kommentar zum Weltkrieg, das große Gedicht „Der Krieg“, veröffentlichte George im Jahre 1917 als Flugschrift in nicht weniger als 6600 Exemplaren: eine Zahl, von der die von George verachteten Expressionisten allenfalls hätten träumen können. Am Ende seines Lebens scheint es auf dem Lyrikmarkt geradezu eine George-Überproduktion gegeben zu haben; jedenfalls finden sich im Dezember 1932 in der Literarischen Welt, der wichtigsten Literaturzeitschrift der Weimarer Republik, verschiedentlich Anzeigen von Buchhandlungen, die Werke Georges in „verlagsneuen Bänden“ zu stark herabgesetzten Preisen anboten. …
In seinem Vertrauen auf die lebensverändernde Kraft des autonomen Gedichts blieb George zeitlebens ein Erbe der deutschen Klassik und Romantik. In seiner Publikationspolitik, seiner Medienstrategie, seiner Selbstinszenierung gegenüber der Öffentlichkeit hingegen handelte er, wie die Auflagenziffern seiner Bücher zeigen, durch und durch modern. Noch in seinem Beharren darauf, jede Publikation aus seinem Kreis mit dem Zeichen der „Blätter für die Kunst“ zu versehen, gehorchte er der Logik der Warenästhetik, die auf Distinktionsgewinn durch ein Logo setzt, das auch dem Massenartikel Exklusivität zertifiziert. In hoc signo vincis: Wenn schon nicht das Neue Reich gewonnen wurde, so doch immerhin der Lyrikmarkt. / Ernst Osterkamp, SZ 4.12.03
… und die SZ. Die bringt zum Anlaß zwei weitere Beiträge:
George und Gundolf: Nachrichten von einem Treffen, das nicht stattgefunden haben sollte (Ulrich Raulff)
Wo Unsrer Frauen türme ragen: Stefan George und München (Jens Malte Fischer)
Neueste Kommentare