Frühestes Wunder

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Das Wessobrunner Gebet

Das erfragt ich im volke als frühestes wunder.
Daß erde nicht war noch oben himmel 
Noch baum irgend noch berg nicht war 
Noch vom süden sonne nicht schien
Noch mond nicht leuchtte noch der meer-see.
Da nichts war an enden noch wenden.
Und da war der eine allmächtige Gott.
Der männer mildester. und da waren auch manche mit ihm.
Gute geister. und Gott, der heilige.

Übersetzung Hans Litten. Aus: Sinn und Form 1978/2, S. 228

Dat gafregin ih mit firahim firiuuizzo meista
Dat ero ni uuas noh ufhimil
noh paum noh pereg ni uuas
ni [...] nohheinig noh sunna ni scein
noh mano ni liuhta noh der mareo seo

Do dar niuuiht ni uuas enteo ni uuenteo
enti do uuas der eino almahtico cot
manno miltisto enti dar uuarun auh manake mit inan
cootlihhe geista enti cot heilac 

Hans Achim Litten (* 19. Juni 1903 in Halle (Saale); † 5. Februar 1938 im KZ Dachau) war ein deutscher Rechtsanwalt und Strafverteidiger. Insbesondere als Gegner des NS-Regimes und „Anwalt des Proletariats“ machte sich Hans Litten einen Namen. Er wurde 1933 verhaftet und starb 1938 im KZ Dachau. (Wikipedia)

Hans Litten schickte diese Übersetzung mit einem Kommentar in einem Brief aus dem KZ Lichtenburg an seine Mutter. Hier ein Teil des Kommentars.

„Ich halte das Wessobrunner Gebet nicht für die Bearbeitung eines Psalmes und überhaupt nicht für christlich, sondern für ein heidnisches Schöpfungsgedicht (was allerdings dem Aufzeichner nicht mehr bewußt war, der es als Einleitung eines in Prosa gehaltenen wirklichen Gebets in christlichem Sinne aufzeichnete).

Beweis: Die Zeile «Daß erde nicht war noch oben himmel» findet sich fast wörtlich in dem gegen 1000 auf Island aufgezeichneten Edda-Gedicht «Volusspa» (Der Seherin Schau) wieder. Das Wessobrunner Gebet ist um 800 aufgezeichnet, gegenseitige Beeinflussung also ausgeschlossen. Beide müssen also auf gemeinsamer Vorlage beruhen, die schon existiert haben muß, als zwischen Nord- und Westgermanen noch Sprachgemeinschaft bestand, also spätestens 400 nach Christus. Die Wendung «der eine allmächtige Gott» braucht nicht christlich gedeutet zu werden, sondern kann sich auf einen obersten Gott (im Gegensatz zu anderen weniger mächtigen) beziehen, und die Bezeichnung «der männer mildester» ist für den christlichen Gott undenkbar.“

Hier noch einmal der Text in anderer Formatierung, weil Verse wie in den oben stehenden Blöcken seit neuestem in manchen Mailprogrammen nicht angezeigt werden. (Für Leser der Mail: die korrekte Formatierung siehe http://lyrikzeitung.com)

Das erfragt ich im volke als frühestes wunder. Daß erde nicht war noch oben himmel Noch baum irgend noch berg nicht war Noch vom süden sonne nicht schien Noch mond nicht leuchtte noch der meer-see. Da nichts war an enden noch wenden. Und da war der eine allmächtige Gott. Der männer mildester. und da waren auch manche mit ihm. Gute geister. und Gott, der heilige.

Dat gafregin ih mit firahim firiuuizzo meista Dat ero ni uuas noh ufhimil noh paum noh pereg ni uuas ni […] nohheinig noh sunna ni scein noh mano ni liuhta noh der mareo seo Do dar niuuiht ni uuas enteo ni uuenteo enti do uuas der eino almahtico cot manno miltisto enti dar uuarun auh manake mit inan cootlihhe geista enti cot heilac 

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