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František Listopad (eigtl. Jiří Synek), tschechischer Schriftsteller, Kritiker, Fernseh-, Theater- und Opernregisseur, geboren heute vor 100 Jahren in Prag. Ab 1941 im besetzten Böhmen untergetaucht. Vater, Großvater und Onkel werden Opfer der Deutschen. Gründet im Mai 1945 mit Freunden die Zeitung Mladá Fronta und gehörte dem gleichnamigen Dichterzirkel an. Studium in Prag. Bis 1947 vier Gedicht- und zwei Prosabände. Korrespondent in Paris, ab 1948 dort im Exil. Seit 1959 in Portugal. Professor für slawische Kultur und Anthropologie an der Technischen Universität Lissabon, Direktor der Theater- und Filmhochschule in Lissabon, inszeniert an europäischen Opern- und Theaterbühnen. Erst ab Dezember 1989 wird er wieder in seinem Heimatland gedruckt.
František Listopad
(* 26. November 1921 in Prag; † 1. Oktober 2017 in Lissabon)
Ungesang mit Blumen Der dritte Gesang wird nicht singen er wird sich nur erinnern wie er die Siebenbürger Zwetschken im großväterlichen evangelischen Garten vergißt Am Sonntag die weiße Kirche das Bethaus wohin wir in einer geborgten schwarzen Kutsche fuhren mit Rappen vom Herrn Bauer Wer jauchzte beim gemeinsamen Gebet Großvater František Großmutter Gabriela die kleine Růže Růžena und dann die Mutter (Mutter?) Marta geborene Poláková später Erbenová jetzt Synková zweite Frau meines Vaters Emil In der Realschule auf dem Strossmayer-Platz schrieen die Mitschüler ihm nach Emilfratz du Dreckspatz aber er glaubte nicht an Gott tolerierte ihn Fanny war die Schwester eines Pfarrers der böhmischen Brüderkirche ich hatte Angst sie anzufassen aber der südfranzösische Aufenthalt zwischen Provence und Cote d’Azur war stärker als unsere Scham und Sünde Billigeren Joghurt mit verfallenem Datum kaufen Die Kinder wuchsen zur Schönheit heran Der Sozialismus so nah und auch so fern Und schon ganz lädiert Die Alchimisten der Revolutionen sind gestorben Schweig Gast Schreiben verdirbt die Stille Absolute Worte sind ungeschriebene ungesagte Die Stille stören nur zu Mystikern gewendete Gärtner Golfspieler ohne Löcher Man fragte das Kind: wie sprechen die Fische? Das Kind fing an Bartók zu singen ein Jahrhundert lang ist die hundertblättrige Rose Rose Ich gewann ein Pingpongturnier gewann den Wettbewerb um das schönste Gedicht über die Rose Dann begann ich alles zu verlieren Wir erdichten die Leben ich und du Wo sind die Schneeglöckchen
Deutsch von Eduard Schreiber, aus: Die Erde ist Kohle und Zitronen. Aus dem Tschechischen von Eduard Schreiber. Grafik Ludwig Kunderá. Berlin: Hochroth, 2014, S. 20-23
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