Alwine Wuthenow heute vor 200 Jahren geboren

Alwine Wuthenow

(* 16.9.1820 Neuenkirchen bei Greifswald, † 8.1.1908 Greifswald)

Heute ein Gedicht in niederdeutscher (plattdeutscher) Sprache. Die Autorin Alwine Wuthenow nannte sich, vielleicht um die Familie (Ehemann Bürgermeister in Gützkow und Kreisgerichtsrat in Greifswald, Vater Superintendent in Gützkow) nicht zu kompromittieren, als Autorin Annmariek Schulten (Genitiv von Schult oder Schulte). Fritz Reuter hat sie geschätzt und gefördert. Ihr Biograf Gassen schrieb: „Von ihrem 19. Lebensjahr an war sie leidend (schwermütig), wenn auch zeitweise scheinbar geheilt.“

L&Poe heute platt(deutsch), regional, kindlich und fromm. Rohübersetzung unten.

An de Untofreden.

Ji klagt un slagt de Hänn tosam,
Dat Alls juch kümmt vördwas;
Dat nix as Unglück üm juch rum
Un nix juch mihr to Paß!

Hier ist’t nich nog un dor to veel,
To kort hier, dor to lang,
Hier is’t to dick un dor to dünn
Un nix is juch to Dank.

Sünst is dat All vel beter west,
So meint juch kloke Sinn –
Jo, wohrlich, ‚lett, as op leiw Gott
Gor nich mihr husholln künn!

Un wenn ji ‚t doch man weten wullt,
Hei ’s ümmer noch de Oll,
Is ümmer as he ständig dahn,
Bedacht noch up juch Wol.

Is, wat he ümmer wesen deed,
Rath, Helfer, Trost un Fründ
Un is noch Vader jede Stund,
Doch bünt ji uk sin Kind?

He hett sik hollen stets to juch,
Doch hollt ji ok to em?
Ach hürt, ik glöw, dat is dat Flach,
Wo Brun keem in de Klemm.

Hei is noch immer vuller Gnad,
Vull söte Leiw un Huld,
Un wenn kein Stülp nich passen will,
Glöwt mi, de Pott hett Schuld!

Das bedeutet ungefähr (die anderthalb Zeilen, die ich nicht verstanden habe, bleiben im originalen Wortlaut – vielleicht liest jemand mit, der es mir erklärt?):

An die Unzufriedenen.

Ihr klagt und schlagt die Händ‘ zusamm‘,
Dass Alls euch kommt verquer;
Dass nix als Unglück um euch rum
Und nix euch mehr zu Paß!

Hier ist’s nicht genug und da zu viel,
zu kurz hier, da zu lang,
Hier ist’s zu dick und da zu dünn
Und nix ist euch zu Dank.

Sonst ist das Alls viel besser gewest,
So meint eu’r kluger Sinn –
Ja, wahrlich, s’ist, als ob der lieb‘ Gott
Gar nicht mehr haushalten könnt!

Und wenn ihr’s doch mal wissen wollt,
er ’s immer noch der Oll,
Ist immer wie er stets getan,
Bedacht auf Euer Wohl.

Ist, was er immer gewesen ist,
Rat, Helfer, Trost und Freund
Und ist noch Vater jede Stund,
Doch seid ihr auch sein Kind?

Er hat gehalten stets zu euch,
Doch halt’t ihr auch zu ihm?
Ach hört, ich glaub, dat is dat Flach,
Wo Brun keem in de Klemm.

Er ist noch immer voller Gnad,
Voll süßer Lieb und Huld,
Und wenn kein Deckel passen will,
Glaubt mir, der Topf hat Schuld!

Quelle des Originaltexts: Nige Blomen ut Annmariek Schulten ehren Goren [Neue Blumen aus Annmariek Schulten ihrem Garten] von A. W. Greifswald und Leipzig: Koch / Kunike, 1861, S. 63f

Das Grab des Ehepaars Wuthenow auf dem Neuen Friedhof in Greifswald. (Foto Gratz)

2 Comments on “Alwine Wuthenow heute vor 200 Jahren geboren

  1. „Wo Brun keem in de Klemm“, aus „Van den vos Reynaerde“, die Szene worin der Bär („Brun“), zwar in wichtiger königlicher Mission, durch Fresssucht „in de Klemm“ kommt. Die besten Absichten taugen nicht, wenn das Fleisch schwach ist. Jetzt noch „Flach“.

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    • Ah, danke, das ist es! Ich dachte zwar auch an Bären, aber da es die auch vor 200 Jahren lange nicht mehr gab, wollte mir kein Kontext einfallen. Flach ist dann einfach die Gegend, „Fläche“.

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